Der Wagen – abwechslungsreich wie das wahre Leben
Lübeck: Archiv - 12.12.2020, 11.11 Uhr: Nun rollt er wieder, „Der Wagen“, das Lübecker Jahrbuch zu Kultur, Geschichte und Gesellschaft. In der Regel erscheint er alle zwei Jahre. Seit 1919. Mit Manfred Eickhölter hat er erst den vierten Redakteur. Das zeugt von Solidität. Eine öffentliche Präsentation fand in diesem Jahr nicht statt. Im Buchhandel ist der 336 Seiten starke Band für 19 Euro erhältlich.In diesem Jahr ist der Band besonders „breit aufgestellt“, wie man mit einem Modewort sagen könnte. Am Beginn steht ein Experiment. „Photographisches Projekt zum Thema 'Würde' an der Thomas Mann Schule“ lautet die Überschrift des Berichts von Dorothea Meyer. Mit Schülerinnen und Schülern begibt sie sich auf eine mit vielen Bildern dokumentierte Reise; viel Stoff zum Nachdenken.
Eine Dokumentation ganz anderer Art liefert Antje Peters-Hirt. Sie schildert Ergebnisse und Erfahrungen beim „Lübecker Stadtdiskurs“. Auch wenn es nicht „ihr Kind“ allein ist, hat Frau Peters-Hirt entscheidenden Anteil am Zustandekommen und der Fortführung. Natürlich werden nach der Zwangspause 2020 Zukunftspläne geschmiedet.
Ins Fischerdorf Gothmund zieht es den Maler Heiko Jäckstein. Er enthüllt, dass es hier in früheren Jahrzehnten eine regelrechte Künstlerkolonie gab und erzählt in poetischer Sprache von den Arbeiten der Kollegen, stellt seinen Lehrer Ernst Eitner vor.
Die Bildende Kunst ist mit weiteren Beiträgen vertreten. Rainer Erhard Teubert, lange Zeit Kunsterzieher in Lübeck, verbindet mit seinen „Grinauer Elegien“ Malerei und Poesie. Jutta Kähler skizziert unter der Überschrift „Teuberts Weihnachtsberg – Vom Erzgebirge nach Grinau“ Stationen aus dem Leben des Künstlers. Lübecks Prachtbauten sind stadtbekannt. Wie sieht es mit Industriebauten des 20. Jahrhunderts aus? fragt Christian Rathmer und wandert von der Gollanwerft bis zum Schlachthof. Die Fotos von Andreas Schwiderski setzen den Betrachter ins rechte Bild. Mit Bauten einer anderen Epoche befasst sich Manfred Bossow. „Kulturpolitik, Architektur und Städtebau in der NS-Zeit“ heißt sein erhellender Beitrag.
„Günter Grass und Lübeck“: Wer meint, darüber schon alles zu wissen, wird von Michael Eggerstedt eines Besseren belehrt. Natürlich führt er uns ins Grass-Haus und zu dortigen Aktivitäten. Von einem „Literatur-Museum“ zum anderen. Paul Kahl schildert die „Jahrhundertausstellung“ zum Buddenbrookhaus.
Ein weiteres Haus, in dem gesammelt wird, ist die Völkerkunde. Seit 2012 ist Lars Frühsorge hier Chef. „Weltreisende Lübeckerinnen im Spiegel der Völkerkundesammlung“ heißt sein Aufsatz. Schon der Titel macht neugierig. Auch Antjekathrin Graßmann ist unter die Forscher gegangen. Sie schildert Ereignisse am Londoner Stalhof im 18. und 19. Jahrhundert.
Birte Abel-Danlowski blättert in der Familiengeschichte. Sie erforscht „Wilden Kunstunterricht in den 20er Jahren“. Ihr Kunstlehrer Hans Peters wird eingeführt, und schnell ist man bei Ernst Barlach und Carl Georg Heise, Vertreter und Verfechter der Moderne Anfang der 1930er Jahre. Jan Zimmermann geht der Frage nach, ob es vielleicht doch einen ansonsten nicht bekannten Besuch Thomas Manns im Jahre 1917 in Lübeck gab.
Seit Jahrzehnten als Autoren dabei sind Jürgen Schwalm, diesmal mit ergötzlichen Geschichten vom Theatergrafen Karl Graf von Hahn und Rudolf Höppner mit Berichten aus seiner Zeit als Pimpf in den Jahren 1943 bis 1945. Günter Zschacke kommentiert einen Bericht von GMD Rudolf Schulz-Dornburg aus dem Jahre 1948.
Wolfgang Muth, von 1989 bis 2016 Leiter der Geschichtswerkstatt Herrenwyk, befasst sich mit Julius Leber, den die Nazis vor 75 Jahren ermordeten. Ebenfalls in den Norden der Stadt führt Hans Rathje Reimers, ehemaliger Revierförster in Waldhusen. Er entdeckte „Wälder in Travemünde“; Anregungen für Spaziergänge.
Manfred Finke widmet sich der Bauplastik mit ihren Blüten und Blättern an Kapitellen und anderswo in St. Marien, dem Dom, dem Doberaner Münster und St. Katharinen. Seine Thesen zur Abfolge der „Ostsee-Kathedralen“ werden nicht jedem gefallen. Zur Vorweihnachtszeit gehört seit einem Jahrhundert das plattdeutsche Lübecker Krippenspiel. In St. Aegidien kann es dieses Mal nicht gegeben werden. Spielleiter Jürgen Fick erzählt Neues vom Entstehen des Textes.
Zum Schluss der Hinweis auf einen Artikel von Doris Mührenberg. Sie erzählt die „Geschichte der Judith“, nach einem Krug, der im Gründerviertel gefunden wurde. Fazit: Viele Themen, viel Facetten. Der Winter ist lang. Für eingefleischte Lübecker ist der Band aus dem Hause Schmidt-Römhild, herausgegeben von der Gemeinnützigen, ein gutes Weihnachtsgeschenk. Besuche sind verboten, ein Geschenk zu schicken nicht.
Im Original-Ton hören Sie ein ausführliches Interview von Harald Denckmann mit Manfred Eickhölter.

Manfred Eickhölter hat das Jahrbuch zur Kultur, Geschichte und Gesellschaft herausgegeben. Foto: Harald Denckmann
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Text-Nummer: 142232 Autor: TD vom 12.12.2020 um 11.11 Uhr