Gedanken über das Kreuz

Lübeck: Archiv - 10.04.2021, 09.15 Uhr: In ihren Gedanken zum Wochenende geht Pastorin i.R. Ellen Naß auf ein - offenbar eher zufällig - entstandenes Kreuz am Hundefreilauf in Israelsdorf ein.

Im Hundefreilauf in Israelsdorf ist bei einem der letzten Stürme ein Baum durchgebrochen. Da er genau über dem Fußweg lag, wurde der Weg wieder freigeräumt. Was mich besonders freute war, dass die Forstarbeiter den Baumstumpf so zurechtsägten, dass oben ein Kreuz entstand. Jedes Mal, wenn ich mit unserem Hund diesen Freilauf besuche, freue ich mich an diesem Kreuz.

Doch nach wenigen Tagen hatte jemand dieses Holzkreuz beschmiert. Mit einem Stift hatte jemand – kaum leserlich, weil das Holz so grob gesägt war - geschrieben: Kein Gott, keine Kirche, kein Patriarchat. Abgesehen davon, dass ich nicht verstehe, warum Menschen Dinge beschmieren müssen, die anderen Freude oder Grund zum Nachdenken geben, finde ich es traurig, dass jemand – damals ausgerechnet in der Passionszeit – zeigt, wie wenig Wissen er oder sie über das Kreuz und den christlichen Glauben hat.

Das Kreuz zu römischer Zeit war so ungefähr die letzte Stelle, wo sich jemand einen Gott vorstellen konnte. Kreuze mit der Darstellung Christi sind erst Jahrhunderte nach seinem Tod entstanden, so peinlich war es den ersten Christen, dass ihr Religionsgründer so gestorben war. Es wurde nur das Kreuz dargestellt, ohne den Leichnam Christi daran. Kreuzigung war die Todesart für Nichtrömer, für Sklaven, für diejenigen ohne Rechte, aber nicht die Todesart für einen Gott. Wir Christen glauben, dass damit Gott sich auf die Seite dieser Menschen stellte, ihnen Würde gab.

Selbst wenn man persönlich nicht an einen Gott glaubt – und in einer Demokratie ist das ein gutes Recht – das Symbol für die Würde eines jeden einzelnen Menschen so zu verunstalten ist traurig. In einer Demokratie sollte man sich gegenseitig respektieren.

Die zweite Forderung war „kein Staat“. Es stimmt natürlich, dass die Kirche über Jahrhunderte Staatskirche war, dass auch bei uns die Zusammenarbeit gut, vielleicht auch zu gut war und ist. Andererseits wurden die Christen 300 Jahre lang verfolgt, bevor sie von dem römischen Staat anerkannt wurden.

Auch heute noch benachteiligen oder verfolgen viele Staaten Christen, Christen sind die am meisten verfolgte Glaubensgemeinschaft weltweit. Es ist noch gar nicht lange her, dass sie auch in einem Teil Deutschlands von Staats wegen stark benachteiligt wurden, nicht wegen eines anderen Gottes, sondern weil an gar keinen Gott geglaubt werden sollte. Staat und Kreuz haben wenig miteinander zu tun. Atheismus macht keine besseren Menschen oder Staaten.

„Kein Patriarchat“, das kann ich als Frau mitsprechen. Andererseits wird im Raum Lübeck die Kirche von einer Pröpstin geleitet, darüber steht die Bischöfin, da kann man kaum von Patriarchat sprechen. In anderen Glaubensgemeinschaften ist es anders, aber hier bei uns bemühen wir uns in der Nachfolge Jesu, Frauen gleich zu behandeln.

Das ist gut und richtig so. Jesus hat natürlich im Patriarchat gelebt, die Zeiten waren vor 2000 Jahren so. Aber er hat Frauen unterstützt, ihnen geholfen, es gab auch Jüngerinnen, die ihm gefolgt sind. Jesus hat den Frauen seiner Zeit eine Wertschätzung entgegengebracht, die zu damals eher ungewöhnlich war. Deshalb sollten sich gerade Christ*innen auch heute bemühen, Benachteiligung von Frauen und Gewalt gegenüber Frauen zu beenden.

Jedes Mal, wenn ich mit meinem Hund dort im Freilauf bin, freue ich mich an diesem Kreuz. Es bringt mich – auch mit der Inschrift – zum Nachdenken und zeigt mir immer wieder, wie großartig Gott ist, der klein und hilflos wurde bis hin zu seinem Tod am Kreuz, um uns Menschen nahe zu sein.

Ellen Naß veröffentlicht ihre Gedanken zum Wochenende im Wechsel mit Heinz Rußmann.

Ellen Naß veröffentlicht ihre Gedanken zum Wochenende im Wechsel mit Heinz Rußmann.


Text-Nummer: 144281   Autor: red.   vom 10.04.2021 um 09.15 Uhr

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