Atomgesetz-Novelle: Regierung will Klagerechte einschränken

Schleswig-Holstein: Archiv - 04.05.2021, 10.21 Uhr: Geht es nach der Bundesregierung, soll es künftig nicht mehr möglich sein, dass Anwohner und Umweltverbände wegen begründeter Sicherheitsbedenken und Terrorgefahren gegen den Betrieb von Atomanlagen oder gegen Atommüll-Transporte klagen und von Gerichten bestätigt werden. Eine entsprechende Änderung des Atomgesetzes soll in Kürze vom Bundestag beschlossen werden, warnt der "Bund für Umwelt und Naturschutz Landesverband Schleswig-Holstein e.V."

Am morgigen Mittwoch, dem 5. Mai, berate der Umweltausschuss des Bundestages in einer öffentlichen Anhörung mit Experten über den bereits vom Kabinett verabschiedeten Gesetzesentwurf. Die Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt und der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland Landesverband Schleswig-Holstein (BUND) fordern die ersatzlose Streichung der 17. Atomgesetz-Novelle.

Wie wichtig die Rechtsprechung sein könne, zeige der Fall des Zwischenlagers für hochradioaktive Abfälle in Brunsbüttel. 2013 hatte das Oberverwaltungsgericht Schleswig einer Anwohnerin recht gegeben und die Betriebsgenehmigung für die Lagerhalle kassiert. Der Betreiber Vattenfall und die zuständigen Genehmigungsbehörden hätten bis heute nicht nachweisen können, dass die Halle gegen Flugzeugabstürze und den Beschuss mit panzerbrechenden Waffen geschützt sei. Seit Jahren betreibe Vattenfall das Zwischenlager ohne Genehmigung und somit illegal. Im Vergleich zu den anderen 15 deutschen Zwischenlagern, weise die unsichere Halle in Brunsbüttel sogar die stabilste Bauweise auf – das Brunsbüttel-Urteil tauge somit als Präzedenzfall.

Mit dem aktuellen Entwurf für die geplante 17. Atomgesetz(AtG)-Novelle verhindere das für die nukleare Sicherheit zuständige Bundesumweltministerium eine Wiederholung der für staatliche Behörden und Betreiber gleichermaßen unliebsamen Causa Brunsbüttel. Der Gesetzesentwurf stelle Entscheidungen von Genehmigungsbehörden unter einen sogenannten Funktionsvorbehalt. Das bedeute, dass eine Atomanlage oder auch ein Atommüll-Transport qua Gesetz als sicher gelte, wenn die zuständige Behörde dies so beurteile. Gerichten bleibe der Zugang zu Sicherheitsdokumenten über den Schutz der Anlage oder des Transports vor "Störmaßnahmen oder sonstiger Einwirkungen Dritter" verwehrt; sie sollen ausschließlich auf Basis des Funktionsvorbehalts der Behörden urteilen. Damit entfalle eine wichtige Kontrollfunktion der Gerichte gegenüber der Exekutive. Anwohner und Umweltverbände müssten in Zukunft darauf vertrauen, dass Behörden in relevanten Sicherheitsfragen immer richtig lägen, denn ihr Klagerecht werde mit Inkrafttreten der 17. AtG-Novelle und der Entmachtung der Gerichte wirkungslos.

Der Atomrechtsexperte Dr. Ulrich Wollenteit, der auch die Brunsbüttel-Klage geführt hat, hält die Gesetzesänderung für verfassungswidrig. Dazu erklärt Jochen Stay, Sprecher der bundesweiten Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt: "Das Bundesumweltministerium hat die falschen Lehren aus dem Brunsbüttel-Urteil gezogen. Anstatt sich um Konzepte für eine langfristig sichere Zwischenlagerung zu kümmern, hebelt das Ministerium von Svenja Schulze lieber die Klagerechte von Bürgerinnen und Bürgern aus. Die geplante Atomgesetz-Novelle ist der Versuch, den seit Jahren geduldeten illegalen Betrieb des unsicheren Zwischenlagers Brunsbüttel zu legalisieren. Gleichzeitig ist sie ein massiver Angriff auf die Gewaltenteilung. Da alle anderen deutschen Zwischenlager mittlerweile in Staatshand sind, führt ein Funktionsvorbehalt dazu, dass staatliche Institutionen untereinander Genehmigungen erteilen, ohne dass diese durch eine unabhängige Instanz vollständig überprüfbar wären. Die 17. AtG-Novelle schützt nicht vor Terrorgefahren, sie dient der Abwehr von Bürger und Gerichten, die das Versagen des Staates bei der Sicherung von Atomanlagen offenlegen könnten. Der Bundestag muss das Gesetz daher stoppen."

Ole Eggers, Geschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland Landesverband Schleswig-Holstein (BUND SH) ergänzt: "Es ist empörend, wie hier eine Rechtsnorm durchgesetzt werden soll, die schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts als verfassungswidriges Resultat des Atomstaats abgelehnt wurde. Durch diesen Entwurf sollen über Jahrzehnte hart erkämpfte zivilgesellschaftlichen Beteiligungsformate, wie die auch von Deutschland ratifizierte Aarhus-Konvention, durch die Hintertür ausgehebelt werden. Unser inzwischen fünfzigjähriger Widerstand zeigt die Notwendigkeit einer Kontrolle gerade von atomrechtlichen Verfahren überdeutlich. Atompolitik ist der Bereich im Spannungsfeld von Umwelt und Ökonomie bei dem wir immer wieder die größten Kungeleien zwischen Staat und Wirtschaft erleben mussten. Wir werden jeden Versuch erbittert bekämpfen, der unsere Rechte beschränken soll, Umweltinformationen zu erhalten und umweltpolitisches Unrecht zu beklagen."

Umweltverbände und Atomgegner fordern die ersatzlose Streichung der 17. Atomgesetz-Novelle. Symbolbild: Archiv

Umweltverbände und Atomgegner fordern die ersatzlose Streichung der 17. Atomgesetz-Novelle. Symbolbild: Archiv


Text-Nummer: 144711   Autor: BUND SH/Red.   vom 04.05.2021 um 10.21 Uhr

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