Leben ist brückenschlagen über Ströme, die vergehen

Lübeck: Archiv - 09.09.2023, 08.49 Uhr: In ihren Gedanken zum Wochenende geht Pastorin i.R. Ellen Naß auf ein Gedicht von Gottfried Benn ein. Es zeigt die Vergänglichkeit des Strebens nach Zielen, die aktuell wichtig erscheinen.

Zufällig las ich neulich ein Gedicht von Gottfried Benn, das mich in meiner Jugend sehr beschäftigt hatte. Gottfried Benn – für Jüngere – war im 20. Jahrhundert ein bedeutender deutscher Dichter. Die Zeile seines Werkes, die mich damals so beschäftigt hat, hat es seitdem, obwohl er selbst nicht mehr so bekannt ist, laut Google sogar in die geflügelten Worte geschafft.

„Leben ist brückenschlagen über Ströme, die vergehen“, so lautete eine Zeile seines Gedichtes. Das klingt, wenn man es wörtlich nimmt, ziemlich verrückt. Obwohl wir in Deutschland mit Fehlplanungen bei Bauvorhaben ja einiges gewöhnt sind – niemand würde eine Brücke, vielleicht noch eine große Brücke, planen an einer Stelle, wo der Strom nachher umgeleitet werden soll, dann einfach nicht mehr da ist.

Wenn man aber über das Leben und die Erfahrungen, die man im Leben macht, nachdenkt, dann ist dieser Satz von Gottfried Benn wahr. So absurd es klingt, wenn man ihn wörtlich nimmt, wenn man das Leben und den Lebensweg ansieht, dann stimmt er. Wir alle bauen ständig Brücken nur um anschließend festzustellen, dass die Ströme, die wir damit überqueren wollten, gar nicht mehr da sind.

Viele Jahrzehnte hat man im Beruf gearbeitet, hat sich bemüht, gut zu arbeiten, die Anforderungen zu erfüllen, besser zu werden, mit den Kolleginnen und Kollegen gut auszukommen – und dann ist man plötzlich im Ruhestand. Man hat sich bemüht, gesund zu leben, auf Ernährung, Bewegung, alles mögliche andere zu achten, dann ist man plötzlich doch schwer krank. Man hat sich um Menschen bemüht, im Familien- und im Freundeskreis, und dann ist doch irgendwann der Kontakt einfach nicht mehr da.

Als junger Mensch kann man das vielleicht wirklich nicht verstehen, da steht einem die Welt noch offen. Allerdings fand ich es schon am Ende der Grundschule die Vorstellung merkwürdig, dass ich fast alle Mitschülerinnen und Mitschüler nun nicht mehr sehen sollte (damals gingen nur sehr wenige Kinder auf weiterführende Schulen), heute kann ich mich nicht einmal mehr an deren Namen erinnern. Wir bauen Brücken, und was sie überbrücken sollten, ist einfach eines Tages nicht mehr da. Gottfried Benn hatte schon Recht.

Im 90. Psalm betete vor vielen Jahrtausenden ein Mensch: „Herr Gott, du bist unsere Zuflucht für und für (für immer). Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Auch ihn beschäftigte die Vergänglichkeit unseres Lebens, er sagt, dass tausend Jahre vor Gott wie ein Tag sind, dass unser Leben einer Blume gleicht, die eines Tages einfach nicht mehr da ist. Dass unser Leben, unsere Mühen, letztlich vergänglich sind, hat Menschen schon immer bewegt. Selbst in ihrer Zeit berühmte Menschen sind irgendwann vergessen, meiner Tochter zum Beispiel sagte der Name Gottfried Benn nichts mehr.

Doch in Gott und bei Gott bleiben die Ströme erhalten, bleiben unsere Bemühungen, unsere Arbeit erhalten. Bei Gott sind wir nicht vergessen, nicht in hundert, in tausend oder in zigtausend Jahren. Brücken, die wir zu Gott hin bauen, die baut Er mit, die bleiben. Er war immer schon da, vor den Bergen, der Erde, dem Weltall, und Er kümmert sich trotzdem um jeden von uns, hält uns für immer.

Die Brücke zwischen Gott und uns ist die eine Brücke, die bleibt. Sie führt auch über all die vielen Ströme, über die wir uns bemüht haben, die vergangen sind oder nicht. Wenn wir nicht mehr bauen können, dann baut Gott für uns. Das schenkt Hoffnung und Kraft, immer wieder neu andere unterschiedliche Brücken zu schlagen.

Pastorin i.R. Ellen Naß betont, dass nur eine Brücke zu Gott dauerhaft bleibt.

Pastorin i.R. Ellen Naß betont, dass nur eine Brücke zu Gott dauerhaft bleibt.


Text-Nummer: 161068   Autor: red.   vom 09.09.2023 um 08.49 Uhr

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