Subjektives NDR-Auftaktkonzert
Lübeck: Archiv - 24.09.2023, 11.50 Uhr: Musik ist überwiegend subjektiv, bis ins 20. Jahrhundert überwiegend geschaffen fürs Gemüt, bis nun mehr und mehr der Verstand eingeschaltet – und auch manch Interpret subjektiv(er) wurde. Beispiele von beiden bot das erste Konzert der NDR-Elbphilharmoniker in der MuK: Unter Leitung von Jonathan Bloxham erklangen Werke von Britten, Mozart und Mendelssohn Bartholdy.Ein frühes Werk von Benjamin Britten ist „Young Apollo“ op. 16 für Klavier und Orchester, in dem der Komponist voller Überschwang einem jungen Mann huldigt. Was hier an lauffreudigen Piano-Kaskaden den harmoniesüchtigen Orchesterballungen gegenübersteht, ist ein Ringen zärtlicher Gedanken des Solisten mit exaltierten Umarmungen des Orchesters. Beides war in besten Händen bei Brittens Landsmännern: Bloxham baute mit exakten Zeichen den Druck auf, und Martin James Bartlett eilte vom Nachsinnen zum übermütigen Kraftpunkt, einem sinnlichen Vollrausch. Die gelungenste Wiedergabe dieses Abends erhielt von Bartlett eine sinnige Zugabe: die feinfingrige Version von Gershwins „The Man I love“.
Wie Mozart ins Heute gerückt werden kann, demonstrierten Bartlett & Bloxham mit dessen „Jeunehomme“-Konzert KV 271. Auch hier setzten sich Solist und Orchester auseinander, allerdings in sehr subjektiver Manier wie vor allem Bartlett. Kein Zweifel, dieser Pianist beherrscht sein Instrument. Mit lockerem Drive ging er ins Allegro, betonte die Sforzati-Passagen – wurde aber immer impulsiver zum Deuter: Allzu sinnierend die Kadenz, Im Andantino brachte er ohne Legato eine übertriebene „Einsamkeit“ ins Geschehen. Im Finalsatz dann spielte er mit den Effekten, den Gegensätzen eines träumerischen Nachsinnens und eines rasenden Prestissimos. Der Dirigent stellte sich ganz auf diese Zelebritäten ein, das Orchester hatte gelegentlich Mühe, die Manierismen zu umfangen.
Das wurde bei Felix Mendelssohn Bartholdys 3. Sinfonie, der „Schottischen“, noch evidenter. Die subjektive Gefühlsmusik erklang so exakt und spannungslos wie Bloxhams Zeichengebung sie vorgab: Der Schlagmann ruderte vor und die Mannschaft haute rein. Das war kein schweifender Blick aus der Kutsche im 19. Jahrhundert, sondern lediglich ein Fotoshooting aus dem Automobil der Neuzeit. Selten waren die NDR-Violinen so zögerlich, selten gerieten die Blaser, zumal die Hörner, wie hier fast in Atemnot. In Kritiken hieß es einst gelegentlich, eine Sinfonie wurde „exekutiert“, also ausgeführt – hier war es der Fall.

Die Elbphilharmoniker überzeugten in der Lübecker MuK nicht vollständig.
Text-Nummer: 161395 Autor: Güz. vom 24.09.2023 um 11.50 Uhr