Märchenhafte Philharmoniker
Lübeck: Archiv - 30.06.2024, 17.49 Uhr: Für das 9. und letzte Sinfoniekonzert dieser Saison hatte GMD Vladar ein märchenhaftes Programm mit Raritäten zusammengestellt und dafür mit Rasmus Baumann einen Gastdirigenten der besten deutschen Kapellmeister-Tradition gewonnen: Baumann wiederum gewinnt mit Werken von Dvorak, Hindemith und Zemlinsky die Lübecker Philharmoniker und ihr Publikum in der MuK.Das war im Sonntagskonzert zahlreich erschienen und begeistert vom Gebotenen. Die sinfonische Dichtung „Die Mittagshexe“ von Antonin Dvorak führt vor Ohren, wie eine recht traurige Ballade sich in Musik verwandelt und die Hörer auch ohne Textbezug in hochromantische Klangwelten mitnimmt. Dem furiosen Melos der Holzbläser eingangs wird schroff entgegnet, Hörner und Flöten erzählen – und während hohe Streicher zu flüstern beginnen, platzen Bassposaune und Tuba bedrohlich hinein... Dvorak packt die ganze Märchenwelt aus, Baumann und die Philharmoniker setzen sie zwischen Raunen und Erregtheit homogen in Szene.
Paul Hindemiths Bratschenkonzert „Der Schwanendreher“ basiert auf alten Volksweisen, zum Bläsersatz gesellen sich lediglich Celli, Kontrabässe und Harfe. Zwischen ihnen und der Solobratsche entwickelt Hindemith Erzählungen von vermeintlicher Einfachheit, die vom Solisten alles und von einigen Philharmonikern enorm viel erfordern. Mit Nils Mönkemeier interpretiert einer der Besten seines Instruments das Werk. Er beginnt wie ein mittelalterlicher Spielmann, um immer virtuoser von „Zwischen Berg und tiefem Tal“ zum finalen „Seid ihr nicht der Schwanendreher?“ seinen klaren Weg zu gehen. Rasmus Baumann hat keine Mühe, die Linien vorzugeben und auch die solistischen Klarheiten von Stephan Gerblinger (Posaune), Andreas Lipp (Klarinette), Jakob Meyers (Fagott) und vor allem von Johanna Jung (Harfe) herauszufordern. Mit der Zugabe zeigte Mönkemeier, um wie viel wärmer ein Bach-Violinsolo auf der Viola klingt.
Alexander von Zemlinskys große Fantasie „Die Seejungfrau“ entwickelt sich wie aus Wagners „Rheingold“-Tiefen zu einem kolossalen Klanggemälde, das sein romantisches Vorbild Richard Strauss nicht verleugnet, aber noch voluminöser und komplexer ist. Rasmus Baumann hat jedes Detail, jede Ballung mit klarer Zeichengebung und Körpersprache im Griff. Auch hier muss niemand das Märchen von der kleinen Meerjungfrau vor Augen haben, um die wechselnden Emotionen zu erfahren, die Zartheit eines Violinsolos (Khristian Artomonov), die Dramatik eines Paukensolos (Manuel Conradi), das Verbindende eines Cellosolos (Hans-Christian Schwarz). Und das Meer brausen lassen sechs (!) Hörner, darunter Karyn Dobbs, die mit diesem Konzert in den Ruhestand geht – nachdem sie ihrem Orchester und den Lübecker Musikfreunden vierzig (!) Jahre die Treue gehalten hat.
Wiederholung: Montag, 1. Juli, 19.30 Uhr, MuK.
Das letzte Sinfoniekonzert der Saison wurde vom Publikum begeistert aufgenommen.
Text-Nummer: 166818 Autor: Güz. vom 30.06.2024 um 17.49 Uhr