Bühnen-Star nach elf Millionen Jahren
Lübeck - Innenstadt: Archiv - 06.07.2024, 16.34 Uhr: Wenn der Wal von Pampau das auch nur annäherungsweise erahnt hätte. Nach elf Millionen Jahren auf dem Grund der Ur-Nordsee und akribischer Freilegung durch das Grabungsteam um Gerhard Höpfner, ist er jetzt glanzvoller Mittelpunkt einer großartigen Aufführung des Lübecker Theaters im Domhof, direkt am Museum für Natur und Umwelt. Am Freitagabend war Premiere.Schauspieldirektor Malte C. Lachmann hat den Ort des Geschehens kurzerhand von der Beckergrube an den Dom verlegt und dort ein Ambiente erschaffen, das der großen Erzählung von Herman Melville aus dem Jahre 1851 in jeder Beziehung gerecht wird.
Aus einer Seemannskneipe wird im Handumdrehen eine Kirche, die sich kurz darauf wieder in ein Walfangschiff verwandelt. Die Wanten sind bis hoch in die Türme des Lübecker Doms verspannt, und das Schauspielensemble des Lübecker Theaters füllt diese ganze Szenerie in einer Art und Weise aus, die das Lübecker Premierenpublikum zu lang anhaltenden Standing Ovations hinriss.
Überraschung gleich am Anfang. Der legendäre Satz am Beginn des Romans "Call me Ishmael", also "Nennt mich Ishmael" wurde gleich achtmal gesprochen. Da Erzähler Ishmael auch handelnde Person auf der Bühne ist, tauchten zwischendurch immer einmal wieder externe Erzähler mit blauer Mütze unter seinem Namen auf, die weitere Entwicklungen der Handlung illustrierten. Diese Handlung ist in groben Zügen bekannt. Erzähler Ishmael, in der Lübecker Inszenierung auch weiblich besetzt, heuert auf einem Walfänger namens Pequod an, begegnet dort seinem Freund Queequeg und dem wahnhaften Kapitän Ahab, der seinen ganzen Kosmos nur einem Ziel unterordnet, den weißen Wal zu töten, der ihn auf einer früheren Fahrt von seinem Bein getrennt hat.
Großartige Idee, diesen mental angeschlagenen Kapitän von Astrid Färber spielen zu lassen, die diese Rolle eindringlich verkörperte. Es hatte etwas durchaus Beängstigendes, wie sie die Mannschaft mit einer glänzenden Motivationsrede auf ein Ziel eingeschworen hat, was nicht das der Mannschaft war. Das Spannungsfeld von Vernunft und Wahn, veranschaulicht durch die Dialoge zwischen Steuermann Starbuck und Kapitän Ahab, wurde auf der Bühne am Dom eindrucksvoll inszeniert.
Im Mittelpunkt das riesige weiße Skelett des Wals von Pampau aus dem Miozän. Der Wal war daher, genau wie im Roman, immer präsent. Seine Gegenwart prägte alles, was auf der Bühne um ihn herum geschah.
Ein großartiger Wurf des Lübecker Theaters, das tragische Geschehen um den Walfänger Pequod genau an diesem Ort zu inszenieren. Das verleiht der ganzen Szenerie etwas Einmaliges, weshalb man sie auf keinen Fall verpassen sollte. In den Kampfszenen gab die Mannschaft alles und ein Nachbau des riesigen Walschädels wurde unter Nebelschwaden extra in den Bereich der Harpunen getragen.
"There she blows", heißt es bei Melville, als der Wal gesichtet wird und im Domhof erhebt sich tatsächlich eine Wassersäule. Eine Laune der Natur, als das Publikum durch einen kurzen Regenschauer kurz mit herausgenommen wird auf die wilde See. Kapitän Ahab wirft es mehrfach aus dem Beiboot und im Kampfgetümmel ruft Astrid Färber plötzlich: "Man reiche mir ein Pflaster für mein Mikrofon." Das hatte sich beim Sturz ins Wasser gelöst und musste neu befestigt werden. Für diese lockere Impro-Theater Einlage gab es sofort Szenen Applaus vom begeisterten Publikum.
Das Publikum applaudierte stehend, herzlich und lange. Und der Wal von Pampau mit elf Millionen Jahren auf dem Buckel das Alleinstellungsmerkmal des Lübecker Museums für Natur und Umwelt, leuchtete dazu in der einsetzenden Dunkelheit. Erst nach dem Applaus wurde beiläufig gefragt, "Wie hat eigentlich Deutschland gegen Spanien gespielt?"
Im Original-Ton hören Sie ein Interview mit Schauspieldirektor Malte C. Lachmann.

Der Wal des Museums für Natur und Umwelt ist Mittelpunkt der Inszenierung im Domhof. Fotos: Harald Denckmann
Hier hören Sie den Originalton:
Text-Nummer: 166967 Autor: Harald Denckmann vom 06.07.2024 um 16.34 Uhr