SHMF-Höhepunkt: Monteverdi-Vesper im Dom

Lübeck - Innenstadt: Archiv - 10.08.2024, 15.48 Uhr: Claudio Monteverdi hat seine „Marienvesper“ anno 1610 noch vor seiner ruhmreichen Venedig-Zeit komponiert, aber sie ist ein Meilenstein in seinem Schaffen. Dieses Meisterwerk des Frühbarock bot das französische Ensemble „La Tempête“ im Dom – wohl der Höhepunkt der diesjährigen SHMF-Konzerte in Lübeck. Was Simon-Pierre Bestion mit seinem Chor, Orchester und den acht Gesangssolisten bot, war wahrhaft ein Sturm (tempête) der Gefühle.

„Vespro della Beata Virgine“ (also der Jungfrau Maria) war nicht unbedingt zur Feier eines abendlichen Gottesdienstes (Vesper) konzipiert, sondern von Monteverdi mehr als eine Demonstration seines Könnens gedacht – zumal vor den Fürsten, die in den vielen Stadtstaaten ihre Kunstpracht zeigen wollten. Die fünf eingefügten gregorianischen Antiphonen sind jedoch ein Kunstgriff auf das Besinnen im Rahmen einer damals neuen Klangwelt, die zelebriert werden wollte.

Auf das Zelebrieren jener Musik, zumal der „Marienvesper“, hat sich Bestion mit seinem Chor und Instrumentalensemble spezialisiert. Und er inszeniert diese Feier des Klangs mit Licht-und-Schatten-Effekt, mit Entzünden von Kerzen – eine überdimensionale wird durch den Dom getragen – und Streuen von Blumen. Er lässt Antiphonen schallen weit hinten im Rücken des Auditoriums, das er imaginär mitdirigiert. So werden diese zwei pausenlosen Stunden überall, wo „La Tempête“ auftritt, zu einem allumfassenden Gesamtkunstwerk aus heutiger Sicht.

Der Odem des Wohlklangs umfing die Dom-Besucher selbst in den dramatischen Passagen. Bestion kann seinen je zwanzig Instrumentalisten und Sängern blind vertrauen. Aus dem Chor treten immer wieder gemessenen Schritts acht Solisten hervor, deren Können über alle Kritik erhaben ist. Die Duette von Amélie Raison und Brenda Poupard schweben, der Tenor (Francois Joron) deklamiert in eigenen Sphären, das Timbre von Bassbariton René Ramos Premier hat in allen Lagen balsamisches Flair.

Zum Beispiel die Hohelied-Motette: Der Tenor singt mit Inbrunst, Pathos und Seufzern, der Alt antwortet aus dem Seitenschiff – alles über einem „imaginären“ Dauerton der Chorbässe. Zum Beispiel der Psalm „Laudate pueri“: Zwei jubelnde Frauen- und vier kontrastierenden Männerstimmen im bewegten Wechsel – und alles weht durch den weiten, hohen sakralen Raum.

Dieses ungemein intensive akustische Geschehen wird getragen von einem Frühbarock-Orchester – darunter Krummhorn, Truhenorgel, je zwei Harfen und Langhalslauten – , dessen Klang keineswegs so eintönig ist wie oftmals Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ (runtergespult werden). Denn Bestion weiß dieser Polyphonie all ihre Seligkeit und vor allem ihre Dramatik zu entlocken: Er emotionalisiert, aus heutiger Sicht, diese „Marienvesper“ in einer Weise, die mit- und das Auditorium zu Ovationen hinreißt.

Simon-Pierre Bestion begeisterte mit seinem Konzert im Lübecker Dom. Foto: Léo-Paul Horlier

Simon-Pierre Bestion begeisterte mit seinem Konzert im Lübecker Dom. Foto: Léo-Paul Horlier


Text-Nummer: 167607   Autor: Güz.   vom 10.08.2024 um 15.48 Uhr

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