Bewegendes Stabat Mater im Lübecker Dom

Lübeck - Innenstadt: Am vergangenen Sonnabend läutete Kantorin Ulrike Gast mit den Hauptchören der Lübecker Dom- und der Jakobi-Gemeinde mit dem „Stabat Mater“ von Antonín Dvořák (1841-1904) die letzte Phase des evangelischen Kirchenjahres ein. Das Publikum war begeistert.

Ursprünglich war das „Stabat Mater“ ein Prozessionsgesang bei Büßerwanderungen oder beim Kreuzweg und auch am Karfreitag war es früher Teil der katholischen Liturgie. In den evangelischen Kontext fügt es sich gut in die zweite Novemberhälfte, denn durch Volkstrauertag, Buß- und Bettag sowie dem Toten- oder Ewigkeitssonntag steht hier das Gedenken an Verstorbene sowie das Nachdenken über die letzten Dinge im Vordergrund.

Es ist das erste, umfangreichste und bekannteste kirchenmusikalische Werk des böhmischen Komponisten, und gleichzeitig sein erstes, das er aus freiem Antrieb, also ohne Auftrag anfertigte. Zudem verhalf diese Komposition nach der Premiere in London Dvořák zu seinem internationalen Durchbruch.

Der Zusammenhang mit dem Tod der drei ersten Kinder Dvořáks liegt nahe – er fand Trost in der Vertonung des mittelalterlichen Gedichtes, welches das Leiden der Mutter Jesu beim Anblick ihres gefolterten, gekreuzigten, sterbenden Sohnes zum Inhalt hat. Stabat Mater dolorosa: „Es stand die Mutter voller Kummer neben dem Kreuz des Sohnes.“ Im Mittelteil geht es um den intensiven Wunsch des Betrachters nach Mitleiden, Weinen und Trauern um über diese Schmerzerfahrung schließlich durch Maria ins Paradies zu gelangen.

Die beiden Chöre wachsen immer mehr zu einem ganz vorzüglichen großen Chor aus 90 Mitgliedern zusammen, der in der Lage ist, ein solch monumentales Werk mit den Lübecker Philharmonikern in der großen sinfonischen Originalbesetzung aufzuführen. Stets wunderbar geschmeidig und glänzend in den Höhen war der Sopran zu hören, in kleineren Chören oft ebenso ein Sorgenkind wie die geringe Anzahl an Tenören. Nicht so in der Aufführung am Samstag im Dom. Auch die zeitweilige Aufteilung der Frauen- oder Männerstimmen in je vierstimmige Sätze gelang vorzüglich. Sensibel geht Dvořák auf die unterschiedlichen Stimmungsgehalte des hochemotionalen Textes ein – es gibt keine schnelleren Tempi als Andante con moto, Dramatik entsteht durch tiefes Empfinden sowie durch dynamische Ausbrüche. Es gibt schwingende 6/8 Takte, doch auch sie ruhen in meditativer Trauer. Es gibt wunderbar verschlungene Korrespondenzen mit dem Solistenquartett, in fast allen möglichen Kombinationen. Es gibt starke Akzente aus dem Orchester, sie tun ihr Übriges, um Liebe, Schmerz, flehentliche Bitten, Trost und gläubige Hingabe auszudrücken. Besonders eindrucksvoll gelangen die A-cappella-Einsprengsel, wie zum Beispiel bei der Darstellung der Reinheit Marias oder in der finalen Zusammenfassung der Sehnsucht nach dem Himmelreich.

Die Stimmen der vier Solisten, alle noch jung aber schon mit viel Opern- und Bühnenerfahrung, mischten sich ganz vorzüglich und hatten keine Probleme, sich vor dem gewaltigen Klangkörper des großen Orchesters und der Chöre zu behaupten. Ihre Botschaften drangen durch.

Virginia Ferentschik verfügt über eine volle, strahlende Sopranstimme, eindringlich gestaltete sie ihre Partie. Frederike Schulten ist eigentlich Mezzosopranistin, sie bewältigte den Altpart bravourös, denn sie verfügt auch über fundierte Tiefe. Mit konzentriertem Ernst und emotionaler Wucht sang sie den vorletzten Satz „Inflammatus et accensus“. Noah Schaul (Tenor) und Jacob Scharfman (Bass), beide ebenso wie Frederike Schulten feste Ensemblemitglieder am Theater Lübeck, zeigten ganz enormes stimmliches Potential. Bei wunderschönem warmen und gleichzeitig kernigen Timbre gelangen den beiden Sängern überaus ausdrucksvolle Passagen.

Der letzte Höhepunkt dieser zutiefst bewegenden Aufführung war das „Quando corpus morietur“ – eine ekstatische Auferstehungsvision, nicht mehr von dieser Welt, in der sich Orchester, Chor und Solisten zu einer großartigen, kompositorisch kunstvollen Apotheose aufschwangen, die wohl keinen im Publikum unberührt ließ.

Der Dom war bis auf den letzten Platz besetzt und der dankbare Jubel wollte kein Ende nehmen.

Die Aufführung im Dom - hier ein Bild von der Generalprobe - begeisterte das Publikum. Foto: privat

Die Aufführung im Dom - hier ein Bild von der Generalprobe - begeisterte das Publikum. Foto: privat


Text-Nummer: 169478   Autor: Svea Regine Feldhoff   vom 17.11.2024 um 13.42 Uhr

Text teilen: auf facebook +++ auf X (Twitter) +++ über WhatsApp

Text ausdrucken. +++  Text ohne Bilder ausdrucken.


Please enable / Bitte aktiviere JavaScript!
Veuillez activer / Por favor activa el Javascript![ ? ]