Liebe in Zeiten des Krieges
Lübeck: Der Verein „Perle e.V. Lübeck“ präsentiert zum 80. Jahrestag der Befreiung von Ausschwitz das musikalische Drama „Eine Pariserin“. Zu sehen ist das Werk bis kommenden Sonntag im Schuppen 6 an der Untertrave.Kann man dem Grauen des 2. Weltkrieges und des Holocaust künstlerisch begegnen? Kann man Musik über diese Themen schreiben, oder gar Opern? Es ist möglich, wie man am Theater Lübeck in der großartigen Inszenierung von „Die Passagierin“ erleben konnte. Und auch in sehr viel kleinerem Format im Schuppen 6 bei der Uraufführung von „Eine Pariserin“ – eine Komposition des gebürtigen Russen mit jüdischen Wurzeln Arnold Nevolovitsch nach dem Libretto der Ukrainerin Victoria Millan in der deutschen Bearbeitung von Gunhild Heidermann.
Der alte Hafenschuppen an der Drehbrücke war ausverkauft. Ungewohnt war, dass die Zuschauer an der Längsseite des Gebäudes saßen denn die Holzwand hinter der Bühne erinnerte an KZ-Baracken. Dies sowie einige wenige Requisiten sorgten für die beklemmende Atmosphäre - ein Verdienst des Regisseurs Michael P. Schulz, der auch sein Personal geschickt führte, die kleinen und großen Gänge waren gut aufeinander abgestimmt. Auf zwei Leinwände an den Seiten der Bühne wurden Bilder projiziert, welche verschiedene Räume der Handlung zeigten oder die Handlung kommentierten. Immer wieder war der Eiffelturm zu sehen oder auch die Champs Elysée mit dem Triumphbogen, denn „Eine Pariserin“ spielt 1941 vor allem in der von den Deutschen besetzten französischen Hauptstadt.
Der Verein „Perle e.V. Lübeck“ hat das Werk in Auftrag gegeben, der 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee sollte der Anlass sein. Als Beitrag zur deutschen Erinnerungskultur war „Eine Pariserin“ angekündigt worden – es erwies sich aber weitgehend als französisch-spanische Erinnerungskultur. Die deutschen Besatzer, die Deportation jüdischer Franzosen, die Résistance, die plötzliche Macht der Kollaborateure, all das sind Teile der französischen Geschichte. Aber das nur am Rande, denn ohne den deutschen Sieg im Westfeldzug 1940 wäre es nicht zu diesen Umständen gekommen.
Die junge Jüdin Dina wird auf Rat ihrer Freundin Eleanor Modell bei einem alternden Maler – gegen den Wunsch ihrer strenggläubigen Eltern. Die Eltern und Dinas Schwester werden deportiert, der in Dina verliebte Maler kann sie im letzten Moment zurückhalten, als sie sich zu ihrer Familie stürzen will. Die Eltern verleugnen ihre Tochter, um sie zu schützen. Im Heimatort des Malers in den Pyrenäen trifft Dina Eleanors spanischen Freund Pablo, einem ehemaligen Bürgerkriegskämpfer. Dina und Pablo verlieben sich, und von da an nimmt ein Liebes- und Eifersuchtsdrama seinen Lauf, in dem das Schicksal von nach Ausschwitz Deportierten keine Rolle mehr spielt. Dina und Pablo sind aktiv in der Résistance und schmuggeln Waffen über die französisch-spanische Grenze. Die hasserfüllte betrogene Eleanor verrät die beiden an die Polizei, der Maler kann sie dank seiner Beziehungen zum Polizeichef befreien.
Zurück in Paris trifft Dina Pablo wieder, erneut ertappt Eleanor das Liebespaar, und erneut verrät sie die beiden. Jedoch nun hat sie Gewissensbisse. Als ein Erschießungskommando erscheint, versucht sie Pablo und Dina zu schützen und wird ebenfalls erschossen. Zurück bleibt der Maler, er hadert mit Gott. Nach dem Ende des Krieges begegnet ihm ein junges Mädchen, Nadezhda ist ihr Name, er heißt übersetzt „Hoffnung“, sie ist Dinas jüngere Schwester, die den Holocaust überlebt hat.
Arnold Nevolovitsch nennt sein Werk „musikalisches Drama“, in den Ankündigungen wurde es häufig als „Musical“ bezeichnet – und in der Tat bewegt sich die Musik stilistisch zwischen Musical und Filmmusik. Eher gefällige Musik, die in ungewohnter Version erklingt. Ausgehend von der Klavierfassung haben IT-Spezialisten am Computer die Klangfarben entwickelt, die der Komponist sich wünschte. Es gibt keine Möglichkeit für die Sänger, spontan Einfluss zu nehmen. Die Aufführungen können sich kaum voneinander unterscheiden, sind vor allem in den Tempi exakt gleich: der Computer hat die alleinige Macht über das musikalische Geschehen. Ermüdend sind auf Dauer die sehr ähnlich geführten Linien der Computer-Streicher und -Holzbläser. Beeindruckend war die Vertonung des hebräisch-aramäischen Kaddisch im ersten Akt, dieses wichtigen, heiligen jüdischen Gebetes zu Lob und Ehre Gottes mit den berühmten „Amen“- Bekräftigungen am Ende der Absätze.
Das internationale Gesangsensemble (Deutschland, Japan, Israel, Kroatien, Russland, USA) war gut besetzt. Allen voran mit Silvija Pleše als Dina. Die Stimme der jungen Sängerin ist wandlungsfähig und sehr schön timbriert. Elizaveta Rumiantseva als Eleanor hatte zeitweise Mühe sich gegen die Computer-Begleitung durchzusetzen. Leider war die eingespielte Begleitung fast durchweg zu laut, mitunter sogar übersteuert. Herausragend sang und agierte Tom Kessler als Maler. Sein sicher fundierter Bass war durchsetzungsfähig, bei Kessler war auch die Textverständlichkeit ausgezeichnet. In den Nebenrollen überzeugten Ido Beit Halachmi als Pablo , Sonja Pitsker als Dinas Mutter und Kazushi Yamada als Dinas Vater, Kommandant und Polizeichef. Die Tanzgruppe mit der Choreografin Daniela Thiele, Sofia Engel, Dennis Dietrich und Matthias Egger setzte geschickte Akzente und war ein wichtiges Element in dieser bedeutenden Regiearbeit von Michael P. Schulz.
Insgesamt eine sehens- und hörenswerte Aufführung, die von der Possehl-Stiftung, der Dräger-Stiftung und der Bluhme-Jebsen-Stiftung unterstützt wird. Schirmherrin ist die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien. Wenn man das Wort „Deutsche“ weglässt und nur den Begriff „Erinnerungskultur“ beibehält, kommt man dem Werk näher.
Nächste Aufführungen am 26. Januar sowie am 1. und 2. Februar jeweils um 16 Uhr im Schuppen 6 am Drehbrückenplatz.

Die Premiere des sehens- und hörenswerten Werkes war ausverkauft. Fotos: Uwe Bremse
Text-Nummer: 170629 Autor: Svea Regine Feldhoff vom 26.01.2025 um 11.18 Uhr