7. NDR Konzert: Mozart, wie man ihn selten hört

Lübeck: Insbesondere bekannte Werke Mozarts standen auf dem Programm des 7. Sinfoniekonzerts der NDR Radiophilharmonie am 4. April in der halbwegs gut besuchten Musik- und Kongresshalle. Ärgern sollten sich diejenigen, die dieses Konzert verpasst haben, denn so konnte man Mozart selten hören.

Vielleicht war es die Stückauswahl des Abends, weshalb sich die Zuschauerränge nicht mehr gefüllt hatten, denn für dieses Konzert war ein – allerdings nur vordergründig – gefälliges Mozart-Programm annonciert, das zudem auch noch live im Radio übertragen wurde und so auch dort die Gelegenheit zum Mithören bot. Eingerahmt von der Ouvertüre zur „Hochzeit des Figaro“ und der g-Moll-Sinfonie Nr. 40 erklang noch sein ebenfalls häufig zu hörendes 5. Violinkonzert und das "Adagio und Fuge" in c-Moll, das unter den Stücken des Abends wohl als das Unbekannteste zu gelten hat.

Doch die Annahme, bei einem solchen Programm brauche man keine besonderen Erwartungen an Außergewöhnliches haben, mussten die Zuhörer schon nach wenigen Takten aufgeben. Das Orchester unter Leitung seines ersten Gastdirigenten Jörg Widmann brachte mit dem „Figaro“-Vorspiel keinen „Warmwerder“, auf das Ouvertüren gerne reduziert werden, sondern ein fein ausbalanciertes Kunstwerk, das durch feinsinnig heraus gearbeitete Nuancen in den Phrasierungen, spannende Lautstärkedifferenzierungen und einem von Anfang an eleganten, kammermusikalischen Ton in allen Stimmgruppen zu einem wunderbaren Charakterstück wurde. Binnen weniger Sekunden konnte man erahnen, dass hinter der nachfolgenden Oper mehr steckt als nur eine clowneske Verwechslungskomödie. Und zugleich deutete sich schon hier an, dass man heute nicht den Mozart hören würde, den man üblicherweise kennt. Es mag auch damit zusammenhängen, dass Widmann nicht nur Dirigent, sondern auch Komponist ist und sich so möglicherweise auch anderer Zugänge zu Werken bedienen kann. Aber es bedarf auch eines so lustvoll aufspielenden Orchesters, das nicht nur bereit, sondern auch willens ist, diesem Ansatz zu folgen. Und dies war den Musiker der NDR Radiophilharmonie in jedem Moment auf ihren Gesichtern abzulesen. So auch im nachfolgenden Violinkonzert.

Es war, als hätten sie geradezu kindliche Freude daran, hier mit der einleitenden Orchesterpassage einen Klangraum mit einer geradezu elektrisierenden Spannung vorzubereiten, in den die Solistin Alina Pogostkina ihren Part vertrauensvoll hineinbetten konnte, der eben nicht kraftvoll das Allegro des Orchesters aufgreift, sondern zunächst zu einem gefühlvollen Adagio wird. Pogostkina, hörbar mit einem hohen Gespür für Kammermusikalität versehen, schuf in ihrer Interpretation des Konzerts ein feines Seidengespinst an zarten, fein differenzierten Tönen, denen es zugleich nie an Brillanz fehlte. Dieses unkonventionelle Konzert, mit dem Mozart weit in die Zukunft dieses Genres blickte, bietet auch für den Zuhörer manche Überraschung. Aber geradezu leichtfüßig führten Solistin, Dirigent und Orchester an diesem Abend die Zuhörerschaft durch dieses technisch hoch anspruchsvolle, melodisch einprägsame und auch im Orchesterklang farbenreiche Konzert. Der zweite Satz, der Mozarts große Nähe zur Oper erkennen lässt, wurde unter ihrem Spiel und begleitet durch ein hoch aufmerksames Orchester auf geradezu beglückende Weise zu einer leisen Liebesarie, die selbst in den Moll-Passagen eindrücklich blieb, ohne auch nur ein einziges Mal in eine Überdramatisierung zu kippen. Auch das spricht für ein großes Verständnis aller Beteiligten für das Werk und führte in der zweiten Kadenz des Konzerts zu einer fast atemlosen Stille im Saal. Dieses gemeinsame erzählerische Mitgestalten, das sich durch den gesamten Abend zog, ließ dann auch den finalen Rondo-Satz zu einer spannenden musikalischen Reise werden, in der selbst die wiederkehrenden Themen immer wieder neu beleuchtet und – der damaligen musikalischen Mode folgend – zwischendurch auch frisch „alla turca“ gewürzt wurden. Und trotz aller Burschikosität, die dieser Einschub mit sich bringt: Eine derart feine und feinsinnige Interpretation dieses Konzerts ist selten zu hören und wurde vom Publikum zu Recht mit reichhaltigem Applaus belohnt. Alina Pogostkina bedankte sich hierfür zusammen mit der Konzertmeisterin mit einem Duett von Jean-Marie Leclair, einem französischen Barock-Komponisten. Auch das ein Zeichen dafür, wie eng Orchester und Solistin an diesem Abend miteinander verbunden waren.

Damit ergab sich aber auch eine Brücke in den zweiten Teil des Konzertes, das mit dem Adagio und Fuge c-Moll begann, schon bei seiner Uraufführung eher ein Kennzeichen „alter“ Musik. Angeregt durch den Wiener Baron Gottfried van Swieten hatte Mozart 1782 begonnen, sich intensiver mit der barocken Musik rund um Bach und Händel zu beschäftigen, was 1783 zu eben jener Fuge c-Moll führte, wenn auch zunächst in einer Fassung für zwei Klaviere. Erst 1788 arrangierte Mozart diese für Streichorchester um und ergänzte es um ein einleitendes Adagio. Dass die Reife dieses Werkes, die teilweise an Reger zu erinnern mochte, an diesem Abend so zu tragen kam, war auch der hervorragenden Leitung des Dirigenten zu verdanken, dessen inspirierendes Wirken das Orchester nur zu gern annahm, hier wie auch in der abschließenden Sinfonie.

Und es war nicht weniger als beeindruckend, was Orchester und Dirigent hier boten. Es ist eine hohe Kunst, sich gegenseitig so viel Raum zu lassen, dass scheinbare Nebensächlichkeiten wie ein einfacher Haltetöne in den Holzbläsern auf einmal eine bereichernde Bedeutung neben der Melodie bekommen, ohne dass man auch nur einen Moment das Gefühl der Überfrachtung bekommt. Dieser erste Satz war zu jeder Sekunde leichtfüßig und transparent und zugleich an Texturen so reichhaltig wie elegantes Gourmetmenü in der Spitzengastronomie. Beinahe war es, als würde man Phrasen, die man doch schon so oft gehört hatte, heute zum ersten Mal begegnen, und mit jeder Wendung, die die Sinfonie an diesem Abend nahm, wurde man nur noch neugieriger auf die nächste Entdeckung, die die Ausführenden für die Zuhörer bereithielten. Wie zum Beispiel im Andante, wo durch fantasiereich gesetzte Linien und Bögen und sehr nuanciertes Spiel mit den Lautstärken alle vorhandenen Gefühlsspektren geradezu fesselnd ausgelotet wurden. Oder im nachfolgenden Menuetto, das nicht einfach nur ein flotter Tanz war, sondern in dem auf einmal all das musikalische Material erklang, an dem sich erkennbar noch viele Komponisten reichhaltig bedienen sollten. In allem aber blieben sich Dirigent und Orchester bei ihrer Interpretation treu. Nichts wirkte akademisch, nichts gezwungen, alles blieb natürlich und in sich so logisch, als könne es nicht anders sein, selbst das teils freie Spiel mit den Tempi im letzten Satz. Sichtbar hatten Musiker und Dirigent Spaß daran, sich einem Klassiker so derart anders zu nähern, und der reichhaltige und kräftige Applaus, den das Publikum ihnen dafür spendete, belohnte sie für dieses Unterfangen. Davon wünscht man sich nach diesem Abend mehr.

Die NDR Radiophilharmonie beeindruckte die Zuhörer des 7. Sinfoniekonzertes in der MuK.

Die NDR Radiophilharmonie beeindruckte die Zuhörer des 7. Sinfoniekonzertes in der MuK.


Text-Nummer: 172018   Autor: UWi   vom 05.04.2025 um 19.11 Uhr

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