Brahms-Requiem im Gedenken an Uwe Röhl

Lübeck - Innenstadt: Am Palmsonntag war das Brahms-Requiem im Lübecker Dom zu erleben. Die Aufführung war dem ehemaligen Domkantor Uwe Röhl gewidmet, der an diesem Tag 100 Jahre alt geworden wäre. Svea Regine Feldhoff schildert ihre Eindrücke von dem Konzert.

Das Deutsche Requiem von Johannes Brahms ist eine Revolution innerhalb der Geschichte des Genres „Requiem“. Es hat mit dem seit Jahrhunderten üblichen, kanonisierten Text einer Totenmesse nichts mehr zu tun, es ist nicht in lateinischer Sprache verfasst, es ist an keinerlei kirchliche Liturgie gebunden. Aus seiner Lutherbibel hat Brahms selbst über 20 Kernsätze aus dem Alten und Neuen Testament zusammengestellt, die Leitgedanken dabei sind, sinnvoll aufeinander bezogen, „Trauer“ und „Trost“. Es ist auffällig, dass Brahms dabei jeden Bezug zu Jesus Christus vermeidet, er mag ähnliche Beweggründe gehabt haben wie später Rilke, der eine ganz individuelle Frömmigkeit pflegte und dem die Rolle Jesu als Mittler zwischen Gott und den Menschen fremd blieb. Seit der ersten vollständigen siebensätzigen Aufführung 1869 in Leipzig unter der Leitung des Komponisten zählt dieses Werk zu den Schlüsselwerken der Oratoriengeschichte, denn als Oratorium kann man es ansehen. Ein Oratorium, im dem der Chor als Stimme der Gemeinschaft im Zentrum steht.

Für die Aufführung am Palmsonntag im Dom hatte Kantorin Ulrike Gast wieder Domchor, Jakobikantorei und die Blankeneser Kantorei (Leitung: Stefan Scharff) zusammengefasst. Die Verbindung dieser drei Chöre hat sich mittlerweile so bewährt, dass ein herausragendes Ereignis vorprogrammiert scheint – und so waren die Erwartungen hoch im vollbesetzten Dom. Sie wurden nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil – der Abend war in jeder Hinsicht ein zutiefst berührendes Erlebnis. Schon der beinahe geisterhaft leise, tiefe und fast schmerzhaft langsame Beginn „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“ zog die Zuhörer in seinen Bann. Immer wieder trafen Erkenntnisse über Tod und Vergänglichkeit den existentiellen Nerv, immer jedoch mündeten die Texte und die Musik in Hoffnung, Trost und Zuversicht.

Der große Chor war zu feinsten dynamischen Abstufungen fähig, höchste Höhen im Sopran waren kein Problem, sorgfältig und bedacht waren die lyrischen Teile gestaltet. Mit monumentaler Kraft kamen die dramatisch aufrüttelnden Passagen daher, zum Beispiel „aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit“ im zweiten Satz oder „Denn es wird die Posaune schallen“ im sechsten Satz. Chor und Orchester bildeten stets eine kongeniale Einheit. Wieder saß das Elbipolis Barockorchester hochmotiviert auf der Stuhlkante, und wieder bewiesen diese engagierten Musiker, dass ein Barockorchester ganz ausgezeichnet in der Lage sein kann, ein Werk der musikalischen Romantik zu unterstützen.

Der dritte Satz beginnt in der Ich-Perspektive und das erste Bariton-Solo „Herr, lehre doch mich“ wurde zur eindringlichen Mahnung. Henryk Böhm verfügt nicht nur über ein wunderschönes Timbre, seine Stimme war mühelos in der Lage, sich über Chor und Orchester zu erheben. Auch Anna Herbst (Sopran) fügte sich stimmgewaltig im 5. Satz „Ihr habt nun Traurigkeit“ in die kunstvolle Verwobenheit mit dem Chor „Ich will Euch trösten“. Die sieben Sätze ordnen sich symmetrisch um den kontemplativen Mittelteil „Wie lieblich sind deine Wohnungen“. Hier gibt es keinen Schmerz mehr, keine Trauer, nur noch Freude durch den lebendigen Gott, ruhig und zurückgenommen gestaltete Ulrike Gast diesen sanften 3er-Takt.

Mit dem letzten Satz schloss sich der Kreis, er endete in der Tonart des ersten Satzes, eindringliche unisono-Passagen führten ausdrucksvoll zum tröstlichen, leise verhallenden „Selig“. Zunächst blieb im Publikum alles ruhig. Diese Stille gehörte dazu, das spürte jeder, aber dann brachen Beifall und Jubel los.

Die Aufführung war dem ehemaligen Domkantor Uwe Röhl gewidmet, der heuer 100 Jahre alt geworden wäre. Röhl war ein musikalisches Multitalent, das zeitlebens nicht nur auf die norddeutsche Kirchenmusik, sondern auch auf weltliche Bereiche großen Einfluss genommen hat. Nach Stellen in Tönning, Friedrichstadt, Unna und Schleswig wurde Röhl als charismatischer Chorleiter, rühriger Organisator, Konzertorganist und Improvisationskünstler international bekannt, die Landeskirche übergab ihm das Amt des Landeskirchenmusikdirektors, fast gleichzeitig übernahm er das Amt des stellvertretenden Direktors und Leiters der Kirchenmusikabteilung der damaligen Lübecker Musikakademie und wurde Organist und Kantor am Lübecker Dom. Nachdem die Akademie mit Röhl als Direktor zur Fachhochschule geworden war, brachte er mithilfe seiner zahlreichen Kontakte auch im Kultusministerium das Kunststück fertig, die Institution 1973 zur ersten und einzigen Musikhochschule Schleswig-Holsteins zu befördern.

Am Lübecker Dom setzte er unter anderem gegen viele Widerstände den Bau der Marcussen-Orgel durch. Für seine großen Oratorienaufführungen konnte Röhl ab 1976 das NDR-Sinfonieorchester einsetzen, denn mittlerweile hatte er das Direktorenamt an der Hochschule mit dem des Hauptabteilungsleiters Musik beim NDR vertauscht.

„Unser Domkapellmeister“, so nannte ihn liebevoll der damalige Pastor Wolfgang Grusnick in seiner Rede, als die dankbare Domgemeinde feierlich Uwe Röhls 50jähriges Jubiläum als Organist und Kantor beging. Im Jahr 1990, also vor 35 Jahren, nahm Uwe Röhl Abschied vom Dom mit der Aufführung des Deutschen Requiems von Johannes Brahms. Es war würdig und richtig, die Aufführung 2025 diesem außergewöhnlichen Menschen zu widmen.

Mehrere Chöre kamen zu dem Konzert zusammen. Hier ein Bild von der Generalprobe. Foto: Veranstalter

Mehrere Chöre kamen zu dem Konzert zusammen. Hier ein Bild von der Generalprobe. Foto: Veranstalter


Text-Nummer: 172169   Autor: Svea Regine Feldhoff   vom 14.04.2025 um 08.50 Uhr

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