8. NDR Konzert: Zwischen Märchenwelt und Klanggewalt
Lübeck: Das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Louis Langrée gastierte am 6. Juni 2025 in der Musik- und Kongresshalle Lübeck – mit Werken von Ravel, Mozart und Saint-Saëns. Der Abend spannte einen weiten Bogen vom zarten Klangpoem bis zur triumphalen Orgelsinfonie.Es war ein bemerkenswerter Auftakt für eine neue künstlerische Begegnung: Zum ersten Mal in dieser Saison dirigierte der französische Maestro Louis Langrée das NDR Elbphilharmonie Orchester, und beide gastierten dabei auch in Lübeck. Für diese erste Begegnung hatte man sich drei Werke ausgesucht, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und die doch in ihrer klanglichen Farbigkeit und poetischen Substanz einander berührten. Ravels impressionistisches Märchenbuch Ma mère l’Oye, Mozarts konzertanter Dialog der Sinfonia concertante und schließlich Saint-Saëns’ monumentale Orgelsinfonie: Es war ein Abend zwischen französischem Esprit und klassischer Form – und einer Musik, die stets den Atem des Geschichtenerzählens in sich trug.
Ravel: Ein musikalisches Märchenbuch
Eröffnet wurde das Konzert in der sehr gut besuchten Musik- und Kongresshalle mit Maurice Ravels Suite Ma mère l’Oye (Mutter Gans), welches das Publikum behutsam in einen Klangkosmos voller kindlicher Wunder und impressionistischer Raffinesse führte. Ursprünglich als vierhändige Klaviermusik für Kinder geschrieben, orchestrierte Ravel die Märchenbilder später selbst – mit einer Meisterschaft, die sein feines Gespür für Instrumentalfarbe und Poesie eindrucksvoll belegt.
Langrée, der mit ausladender, dabei stets fließender Geste dirigierte, ließ das Orchester von Beginn an erzählerisch und transparent musizieren. Der Klang war warm, durchlässig, teils fast luftig – ein französischer Tonfall von großer Stilsicherheit. Besonders in den solistisch geprägten Momenten, etwa in der "Pavane der schlafenden Schönheit" oder im fernöstlich kolorierten "Laideronnette", entfaltete sich eine klangliche Fantasie, die den märchenhaften Gestus des Werkes wunderbar aufnahm. Es war ein feiner, gleichwohl beredter Auftakt, der die Zuhörer in eine zauberische Welt entführte.
Mozart: Ein Gespräch unter Freunden
Wenige Werke Mozarts verkörpern das Ideal des musikalischen Dialogs so vollkommen wie die Sinfonia concertante Es-Dur KV 364. Geschrieben für Violine, Viola und Orchester, vereint das Werk konzertantes Virtuosentum mit symphonischer Dichte – und lebt von der Gleichwertigkeit der beiden Soloinstrumente.
Mozart hatte während seiner Parisreise 1778 erste Eindrücke französischer sinfonia concertante-Werke gesammelt – einer dort beliebten Gattung, die zwischen Oper und Instrumentalmusik vermittelte. Auch wenn er das Werk erst später in Salzburg vollendete, klingen in der Partitur die Pariser Inspirationen deutlich nach: ein größer dimensioniertes Orchester, betonte Soloparts, ein Hauch von musikalischer Eleganz, aber auch der Sinn für dramatischen Kontrast. Damit schlägt die Sinfonia concertante nicht nur formal, sondern auch atmosphärisch einen Bogen zwischen den französischen Werken von Ravel und Saint-Saëns, die den Abend rahmten.
Mit James Ehnes (Violine) und Antoine Tamestit (Viola) standen zwei Musiker auf dem Podium, deren Zusammenspiel von technischer Souveränität, klanglicher Raffinesse und feinem Gespür für musikalische Zwischentöne geprägt war. Tamestit, der gestisch engagiertere der beiden, wandte sich mehrfach auch dem Orchester zu und nahm so aktiv Einfluss auf das musikalische Gesamtbild – was Langrée und das NDR Elbphilharmonie Orchester aufmerksam aufnahmen und in ein mitgestaltendes Spiel verwandelten. Das Orchester blieb nie bloßer Begleiter, sondern entfaltete eine eigene Klangpräsenz, die die kammermusikalische Struktur des Werkes ideal unterstützte.
Im ersten Satz wählte Langrée ein luftiges, fast tänzerisches Tempo, das dennoch genügend Raum für Nuancen ließ. Das langsame Andante geriet zum emotionalen Mittelpunkt: Die beiden Solisten ließen ihre Linien fein wie silberne Spinnfäden durch den Raum gleiten – innig, schwebend und in vollkommener klanglicher Balance. Das Finale schließlich forderte und förderte eine große Flexibilität aller Beteiligten, die das musikalisch bewegte Material mit federnder Energie bewältigten. Als Zugabe schenkten Ehnes und Tamestit dem Publikum ein weiteres Mozart-Duett – ein poetischer Nachklang eines fein gesponnenen musikalischen Gesprächs.
Saint-Saëns: Monumental – aber mit Maß
Mit der Sinfonie Nr. 3 c-Moll op. 78 von Camille Saint-Saëns, der sogenannten Orgelsinfonie, fand der Konzertabend seinen krönenden Abschluss. Die 1886 entstandene Sinfonie zählt zu den beliebtesten sinfonischen Werken der französischen Spätromantik – nicht zuletzt wegen ihrer eindrucksvollen Klangdramaturgie und des ungewöhnlich eingesetzten Orgelparts. Saint-Saëns selbst sah die Orgel nicht als solistisches Virtuoseninstrument, sondern als integralen Bestandteil des orchestralen Klangbildes – eine dramatisch-leuchtende Klangfläche, die das Tutti hebt, stützt oder grundiert.
Unter Louis Langrées Leitung geriet das Werk zu einem Höhepunkt des Abends – klanggewaltig, aber stets kontrolliert und transparent. Die große sinfonische Geste wurde getragen von einem ausgeprägten Sinn für Proportion und inneres Gleichgewicht. Die Blechbläser waren kraftvoll, aber nie aufdringlich, das Schlagwerk pointiert, die Holzbläser warm und durchsetzungsstark. Die Streicher, voller Energie, hielten den klanglichen Fluss auch in dichten Passagen geschmeidig und lebendig.
Im langsamen Abschnitt des ersten Satzes öffnete sich noch einmal eine fast märchenhafte Traumwelt – diesmal nicht in pastellfarbener Unschuld, wie bei Ravel, sondern mit herber Schönheit und tieferer emotionaler Resonanz, die Bilder einer Märchenwelt für Erwachsene entstehen ließ. Der zweite Satz begann mit dramatischem Zugriff, wurde dann aber von einem organisch atmenden Tempo getragen, das besonders im Übergang zur Coda seine Wirkung entfaltete. Der monumentale Schlussteil mit seiner kontrastreichen Anlage wurde von allen Beteiligten mit Souveränität und Feinsinn gemeistert.
Die Orgel, gespielt von Thomas Cornelius, erfüllte dabei genau jene gestaltende Rolle, die Saint-Saëns ihr zugedacht hatte. Cornelius, selbst Komponist und regelmäßiger Organist der Elbphilharmonie, brachte sein tiefes instrumentales Verständnis in eine klanglich höchst subtile Gestaltung ein. Sein Spiel wirkte nie effekthascherisch, sondern klug eingebettet in den Orchesterklang – mit einem Gespür für Farben, Dynamik und Dramaturgie, das ihm sichtlich auch aus seinem eigenen kompositorischen Schaffen erwachsen ist.
Ein Debüt mit Ausrufezeichen
Das Publikum zeigte sich begeistert: Lang anhaltender Applaus und zahlreiche Bravorufe würdigten diesen rundum gelungenen Konzertabend, der Louis Langrée als einen Dirigenten vorstellte, der mit Gespür für Klangfarben, Struktur und Poesie zu führen weiß – und der dem NDR Elbphilharmonie Orchester ein erstes, vielversprechendes Kapitel der Zusammenarbeit eröffnete.

Das NDR Elbphilharmonie Orchester begeisterte das Publikum in der Lübecker MuK.
Text-Nummer: 173177 Autor: Ulrich Witt vom 07.06.2025 um 08.46 Uhr