Schlutup 800: Auftakt nach Maß!

Lübeck - Schlutup: Es gab keine Programm-Zettel mehr! Mit einem solch großen Interesse hatte man offensichtlich nicht gerechnet. All den vielen Interessierten, die am 3. Juli in die historische Fischerkirche St. Andreas gekommen waren, wurde ein abwechslungsreicher, erlesener Auftakt für die Festwoche „Schlutup 800“ geboten.

Für diese musikalische Abendandacht konzipierte der künstlerische Leiter Michael P. Schulz ein stilistisch weitgespanntes, abwechslungsreiches Programm voll facettenreicher Lokalbezüge zu St. Andreas, einem wunderbaren Aufführungsort mit exzellenter Akustik. Als Gast aus Mecklenburg-Vorpommern konnte Pastor Thomas Lenz begeistern! Mit seiner christlich-spirituellen Wegleitung verknüpfte er in temperamentvoller Weise Glaubensfragen und Programmerläuterungen: Ein Pastor, der mit feinem Humor und mit einigen plattdeutschen Einsprengseln viel Frohsinn aussandte – trotz aller Gefährdungen, die nicht unerwähnt blieben. Diese aufrichtende Botschaft, dieses alles überstrahlende Trotzdem wurde äußerst dankbar aufgenommen, so freute man sich erwartungsvoll auf die angekündigte Musik!

Diese Vorfreude wurde durch ein – das sei vorweggenommen – durchwegs hohes künstlerisch-interpretatorisches Niveau eingelöst! Wie ein lichtvoller Sonnentag auf der Orgel klingt, konnte man eingangs dank Sven Fanicks fein registrierter Interpretation von Hugo Distlers „Christ, der du bist der helle Tag“ erfahren. Anschließend wechselte Fanick zum Chorleiterpult, um zusammen mit Mitgliedern der Bodelschwingh-Kantorei von der Orgelempore aus Distlers Motette „Nun ruhen alle Wälder“ mit berührender Intensität zu präsentieren. Der junge Distler komponierte dieses Werk Ende 1930 im Schlutuper Pastorat. Die eindrucksvolle Motette mit ihrer feinen Textierung wurde erstmals am Ort ihrer Entstehung aufgeführt!

Der folgende Programmblock mit Vokal- und Orgelwerken, die im Wechsel erklangen, korrespondierte mit dem Entstehungsjahr 1649 der kunstvoll gestalteten Kanzel von St. Andreas. Im selben Jahr publizierte der Komponist Johann Jakob Froberger sein „Libro secondo“, die zweite Sammlung seiner Orgelwerke, von denen Fanick, wiederum sehr plastisch registriert, polyphone Werke spielte, deren wechselhafte Texturen ausdruckstark erfahrbar waren. Die solistischen Vokalwerke der im selben Jahr uraufgeführten Oper „Il Giasone“ des italienischen Meisters Francesco Cavalli sang Sonja Pitsker mit ausdrucksintensiver und nuancenreicher Sopranstimme. Hervorzuheben ist ein Duett, in dem sich ihre Stimme mit der angenehm timbrierten Tenorstimme von Michael P. Schulz zu einem nachdrücklichen Dialog verband. Eben noch als Tenor aktiv, wechselte Schulz zur Violine, denn die Vokalstücke wurden agogisch sensibel und auf die Affekte eingehend von ihm sowie der Geigerin Tamara Navarete, von Noelia Balaguer Sanchis (Violoncello) sowie von der empathisch und souverän am Cembalo agierenden Olga Mull dargeboten.

Dem Entstehungsjahr des prächtigen Barockaltars in St. Andreas entspricht das Publikationsjahr 1716 der „Kleinen Kammermusik“ von Georg Philipp Telemann; mit ihrer spielfreudig-musikantischen, virtuosen Interpretation der filigranen Partita 5 in e-Moll beeindruckten die Geigerin, die Cellistin und die Cembalistin.

Eigens für diese Musikalische Abendandacht schrieb der Lübecker Komponist Michael Töpel Anfang dieses Jahres eine „Glockenmotette“, zu der ihn die drei wertvollen historischen Glocken von St. Andreas anregten, ein Geläut, das in keinem der bisherigen Kriege eingeschmolzen wurde, obgleich eine der Glocken – seit 1942 auf dem sog. Hamburger Glockenfriedhof gelagert – hierfür vorgesehen war, was glücklicherweise durch das Kriegsende verhindert wurde. Die Schlagtöne dieser Glocken spielen in jedem Satz der abwechslungsreichen und temperamentvollen Motette eine zentrale Rolle, wobei sie harmonisch immer anders beleuchtet werden. Die Inschrift einer der Glocken bestimmt den ersten Satz: „So oft dein Schall durch unsre Ohren bricht, so oft sei unser Herz auf Gott gericht.“ Die Mitglieder der Bodelschwingh-Kantorei unter Sven Fanicks Leitung sangen zum Abschluss die Uraufführung dieses Werkes mit großem Engagement, absoluter Textverständlichkeit und mit sicherer Intonation, denn die Motette mündet unmittelbar in ein vom Chor auf den Schlagtönen der Glocken improvisiertes Klangmobile, zu dem das volle Geläut einsetzte.

Die Kirchentüren wurden geöffnet: Drinnen und draußen fanden auf beeindruckende Weise zusammen! Begeisterte Gesichter und stehende Ovationen: Beglückend für alle Ausführenden, ebenso für den Komponisten Michael Töpel und außerdem für die Veranstalter, die Vereine Operette in Lübeck e. V. sowie für die Xaver und Philipp Scharwenka-Gesellschaft Lübeck e. V., die von der Kirchengemeinde St. Andreas freundlich unterstützt wurden.

Die Festwoche wurde am Donnerstagabend in St. Andreas eröffnet. Foto: Renate Sieber

Die Festwoche wurde am Donnerstagabend in St. Andreas eröffnet. Foto: Renate Sieber


Text-Nummer: 173770   Autor: Renate Sieber   vom 05.07.2025 um 10.05 Uhr

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