Philharmonisches Orchester: Ein Konzert voller Aufbruch

Lübeck: Archiv - 13.07.2025, 23.17 Uhr: Am Sonntagvormittag, dem 13. Juli 2025, bot sich dem Publikum in der Musik- und Kongresshalle ein Konzert, das mehr war als ein Saisonabschluss. Das Philharmonische Orchester bot ein Konzert voller Aufbruch und Zuversicht.

Manche Programme versprechen Überraschung, andere Verlässlichkeit. Und dann gibt es jene Konzerte, an denen sich alles fügt: herausragende Künstlerinnen und Künstler mit individuellem Profil, Werke, die zwischen Neuentdeckung und Ewigkeit pendeln, und eine Programmdramaturgie, die nicht bloß sortiert, sondern komponiert ist. Das 9. und letzte Saisonkonzert des Philharmonischen Orchesters der Hansestadt Lübeck vereinte all dies – und wurde zu einem Erlebnis, das in Erinnerung bleiben wird.

Der Hornist Felix Klieser, international gefeiert, zeigte einmal mehr, dass künstlerische Exzellenz nicht durch äußere Umstände definiert wird. Mit technischem Feinsinn, klanglicher Präzision und einer Musikalität voller Intelligenz und Innerlichkeit verlieh er dem selten gespielten Hornkonzert von Reinhold Glière Gestalt. Der warme, flüssige Ton, das kammermusikalische Gespür für Balance und Nuance: All das zeugte von einem Künstler, der sich und sein Instrument vollendet beherrscht. Das Publikum dankte mit stehenden Ovationen.

Kliesers Vortrag war dabei alles andere als ein rein sportlicher Akt der Überwindung. Vielmehr offenbarte sich hier ein Musiker, der den romantischen Tonfall Glières ebenso nuanciert zu gestalten wusste wie dessen weite melodische Bögen. Besonders im lyrischen Mittelsatz spannte Klieser mit nahezu sprechender Artikulation eine große gesangliche Linie auf, während er im virtuosen Finalsatz auch technische Finessen mit Leichtigkeit und Eleganz bewältigte. Dass das Horn dabei nie bloß strahlend, sondern stets farbig, wandelbar, und selbst in den höchsten Höhen luftig leicht, und doch mitunter beinahe introvertiert klang, war Ausdruck einer sehr persönlichen, reifen Musikalität.

Als Zugabe ein Augenzwinkern: Klieser und das Orchester servierten den Finalsatz aus Mozarts 3. Hornkonzert als Zugabe. Elegant, verspielt, wie ein musikalisches Lächeln am Morgen.

Am Pult stand dabei Anna Skryleva, seit einigen Jahren eine feste Größe in der deutschen Orchesterlandschaft, zugleich Dirigentin und Komponistin. Diese doppelte Perspektive der als Generalmusikdirektorin am Theater Magdeburg beheimateten Künstlerin spürt man in jeder Geste: Klang wird bei ihr nicht bloß geformt, sondern verstanden, durchdrungen, zum Sprechen gebracht. Sie leitet nicht mit autoritärem Zugriff, sondern mit inspiriertem Dialog, der in einem agilen, klang orientiertem Dirigierstil sichtbar ist. Auch im Glière verlieh sie dem Orchester Leichtigkeit, nahm der romantischen Schwere des Werkes den Ballast, ohne je ins Flüchtige zu geraten.

Die Musikerinnen und Musiker des Philharmonischen Orchesters schienen dieser klanglich atmenden, aus der Musik heraus geführten Lesart mit spürbarer Freude zu folgen. Der Gesamtklang wirkte hell, transparent und erstaunlich beweglich – ein Eindruck, der sich durch das gesamte Konzert zog. Insbesondere die Holzbläser überzeugten mit schlankem, wendigem Ton, die Hörner glänzten mit warmer Fülle und intonatorischer Sicherheit.

Noch deutlicher trat Skrylevas künstlerische Identität in den eigenen „Drei Impromptus in C“ zutage, die das Konzert eröffneten. Drei Miniaturen, die wie zufällig daherkommen, aber durch Klarheit, Charme und kompositorischen Esprit überzeugen. Der erste Satz, ein heiterer Tanz im ¾-Takt, federte mit Anmut durch den Raum. Der Zweite entwarf mit ruhigem Puls und gedämpfter Klangpalette eine fast meditative Atmosphäre. Der Dritte – vital, jazzig angehaucht, rhythmisch pointiert – zeigte orchestrale Virtuosität ohne Selbstzweck.

Skrylevas Tonsprache ist modern, aber nie hermetisch; sie ist farbig, aber nicht beliebig. Sie verzichtet auf die kalkulierte Konfrontation und akademisierte Komplexität vieler Zeitgenossen und setzt auf Ausdruck, Struktur und klangliche Suggestion. Ihre Musik ist in sich stimmig, ist von innen heraus organisiert, entwickelt ihre Spannung aus motivischer Arbeit und rhythmischer Lebendigkeit. Besonders bemerkenswert: Der orchestrale Zugriff, der die Farben des modernen Orchesters klug nutzt, ohne sich in Überreizung und Dissonanzüberladung zu verlieren. Ein eigenständiges, charaktervolles Werk, das neugierig auf mehr macht.

Nach der Pause: Richard Strauss‘ „Aus Italien“, eine frühe sinfonische Fantasie, oft als „Übergangswerk“ etikettiert. Zu Unrecht. Denn dieses viersätzige Opus, das zwischen impressionistischem Landschaftsbild, archäologischer Fantasie und neapolitanischer Klangszene changiert, zeigt bereits den orchestralen Gestaltungswillen, der Strauss‘ späteres Schaffen auszeichnet.

Dass Strauss hier formal noch an der klassischen Viersätzigkeit orientiert bleibt, zugleich aber bereits erzählerisch arbeitet, macht das Werk zu einem faszinierenden Zwitter zwischen Sinfonie und Tondichtung. Skryleva nahm diese Ambivalenz ernst – und gerade dadurch wurde „Aus Italien“ in dieser Aufführung zu einem Werk eigener Gültigkeit. Sie befreite es vom Ruch des Akademischen, des „sich erst noch entwickeln müssenden Komponisten“. Stattdessen durchleuchtete sie die Binnenstruktur des Werkes und verlieh ihm neue Strahlkraft.

Der erste Satz, „Auf der Campagna“, schwebte in lichtem Pastell, während der zweite, „In den Ruinen Roms“, mit dramatischen Kontrasten das Publikum so mitnahm, dass es mit spontanem Zwischenapplaus reagierte. Fast geriet der dritte Satz, „Am Strand von Sorrent“, dabei ins Hintertreffen, gelang den Musizierenden doch ein Momentum von berührender Schönheit: weich gezeichnet, atmosphärisch dicht, ohne je ins Sentimentale abzurutschen. Die Holzbläser des Orchesters brillierten, die Hörner agierten auf höchstem Niveau, die Streicher blieben transparent und tragend zugleich. Der Finalsatz, „Neapolitanisches Volksleben“, wurde dann mit rhythmischem Elan und orchestraler Übersicht bewältigt – keine Spur von folkloristischer Belanglosigkeit.

Es war eine Interpretation, die nicht auf spektakuläre Effekte setzte, sondern auf innere Logik, auf organisches Atmen. Das klang nie durchinszeniert, nie auswendig gelernt, sondern wie im besten Sinne aus dem Moment geboren. Der spontane Applaus nach dem zweiten Satz kam nicht von ungefähr, ebenso wenig wie der lang anhaltende Jubel nach dem Schlussakkord.

Leider war der Saal nicht so gut gefüllt, wie es die Qualität des Programms verdient hätte. Alle Anzeichen im Vorfeld hatten schon ahnen lassen, dass es ein lohnendes Konzert werden könnte. Und wer gekommen war, wurde Zeuge eines Konzerts, das – in der künstlerischen Haltung wie in der interpretatorischen Umsetzung – von seltener Geschlossenheit war.

Es war ein Vormittag, der inspirierte, erfrischte, belebte. Dieses Konzert war wie der frische Duft eines jungen Sommermorgens, der den Tag nicht verklärt, sondern mit Zuversicht eröffnet. Wer die Gelegenheit nutzen kann, hat am Montagabend noch eine Chance. Alle anderen werden mit der Erkenntnis leben müssen, dass es bis zum ersten Konzert der nächsten Saison ein Weilchen hin ist.

Das Konzert wird am Montagabend wiederholt.

Das Konzert wird am Montagabend wiederholt.


Text-Nummer: 173928   Autor: Ulrich Witt   vom 13.07.2025 um 23.17 Uhr

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