Jubel: Lyhrus-Requiem mit dem Kammerchor „I Vocalisti“
Lübeck - Innenstadt: Archiv - 12.10.2025, 08.49 Uhr: „Gemeinsam. Für alles, was uns menschlich macht.“ Dies ist das Motto, welches der Berliner Komponist Lyhrus seinem Requiem gegeben hat. Komponiert hat er es 2024 und seit November desselben Jahres wird dieses Werk für sechs Kammerchöre und Ensembles in vier „bilateralen“ Teilkonzerten aufgeführt. Ein Teilkonzert fand am Samstagabend in Lübeck statt.Drei dieser Konzerte haben schon stattgefunden: in der Berliner Osterkirche mit dem „Bessiner Kammerchor“ unter der Leitung von Nils Jensen, in der Französischen Kirche Potsdam, mit dem Kammerchor „ChorWerk“ Potsdam unter der Leitung von Hans-Joachim Lustig, der diesen Chor 2022 gegründet hat, und im KulturRaum Zwinglikirche mit dem Kammerchor „Canzoneo“ wieder unter Nils Jensen. Am Samstag, dem 11. Oktober 2025, fand in der gut besuchten Propsteikirche Herz-Jesu das letzte Teilkonzert mit dem Lübecker Kammerchor „I Vocalisti“ unter seinem Gründer und Leiter Hans-Joachim Lustig statt.
„I Vocalisti“ gibt es schon seit 1991 und ist in Lübeck bekannt für eine ausgezeichnete Klangkultur durch erfahrene Sänger und ihren versierten Leiter. Der Chor hat schon bei vielen nationalen und internationalen Chorwettbewerben Preise gewonnen, außerdem produzierten Rundfunk und Fernsehen zahlreiche Aufnahmen mit „I Vocalisti“. Hans-Joachim Lustig lebt zwar mittlerweile in Potsdam, aber seine Lübecker „Vocalisti“ hat er behalten – die Proben sind daher nicht wöchentlich, sondern finden an verschiedenen Wochenenden im Jahr statt.
Beim Chorkonzert in der nur schwach erleuchteten Herz-Jesu-Kirche trug der Chor zunächst vier Chorwerke in konventioneller Frontalaufstellung vor. Diese ersten Stücke nahmen schon einige Motive des Requiems von Lyhrus vorweg: Das „Ave Maria“ des bayerischen Organisten, Chorleiters und Komponisten Franz Biebl (1906-2001) ist heute ein Standardwerk der Chorliteratur – es ist doppelchörig als ruhiges, eindringliches Gebet gestaltet und teils noch der Spätromantik verpflichtet.
Auch „There will be rest“ („Es wird Ruhe geben“) des amerikanischen Komponisten Frank Ticheli (*1958) ist eine Art Gebet, es geht um eine Herrschaft der Ruhe, um Musik der Stille, um Traumwelten. Die Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüst“ hat der Dresdner Kreuzkantor Rudolf Mauersberger (1889-1971) unter den Eindrücken der Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg nach Texten aus den Klageliedern Jeremias geschrieben.
Ēriks Ešenvalds (*1977) ist ein lettischer Komponist, auch sein Schwerpunkt liegt auf Chormusik. „Stars“ ist eine Vision „schlagender Herzen aus Feuer“, die in einer stillen, dunklen Nacht über uns zu sehen ist. Die Wunderbarkeit eines „Himmels voller Sterne“ wird durch einen strahlenden Choral heraufbeschworen, bevor die wiederholte Schwingung eines Akkordpaares, die den Zauber verstärkt, in Stille versinkt.
I Vocalisti waren in Hochform – atemberaubend waren die dynamischen Differenzierungen, mitunter entwickelte sich aus dem leisesten piano ein leidenschaftlicher Aufschwung zu ganz großem, vollem Klang. Alle Stimmen waren homogen, von makelloser Reinheit, von den höchsten Höhen im Sopran bis zum tief timbrierten Bass.
Das Hauptgewicht dieses Konzertes waren dann 20 Ausschnitte aus dem Requiem von Lyhrus. Die Kirche wurde noch stärker abgedunkelt, viele Kerzen brannten.
Wie bei den vorherigen Teilaufführungen war auch an diesem Abend das Berliner Lyhrus-Ensemble dabei. Es besteht aus sechs klassisch ausgebildeten Sängern. Beide Gruppen sangen gemeinsam, mitunter alleine, einzelne Mitglieder des Lyhrus-Emsemble solistisch auf höchstem Niveau.
Lyrus‘ Tonsprache ist vielseitig und fordert den Sängern einiges ab. Teils tonal, teils freitonal mit dissonanten, aber ausbalancierten Klangschichten, dennoch oder gerade deshalb häufig von einer fremdartigen Schönheit und kontemplativen Innigkeit. Lyrus will eine größtmögliche Verdichtung erreichen, daher sind die meisten Stücke im Requiem a cappella. Sehr sparsam wurden einige Orgelakzente hinzugefügt. Lyrus ist fasziniert von den Möglichkeiten des Chorklangs, von der Verschmelzung vieler Stimmen. Im Vorwort zur Partitur schreibt er „Der Klang von Chorstimmen war für mich immer das Anrührendste, was an menschlicher Musik möglich ist. Nirgendwo sonst empfinde ich Schönheit so sehr als das Ergebnis der Hingabe des Einzelnen an die Gemeinschaft.“
Komponist Lyhnus saß selbst am kleinen Positiv der Herz-Jesu-Kirche. Hans-Joachim Lustig dirigierte von zwei Pulten vom oberen Mittelgang aus, je nachdem, wie sich die Chorsänger positionieren sollten. Manches Mal in einem großen Halbkreis ganz vorne, manchmal standen die Sänger gut durchgemischt in den Seitenschiffen der Kirche, umrahmten so die Zuhörer im Mittelschiff der Kirche, Sänger und Hörer erlebten Klang, Stille, Zeit und Raum in großer Nähe. Beim letzten Stück „In paradisum“, einem Gesang des Übergangsritus zwischen Sterben und Tod, standen die Chöre gar mit dem Rücken zum Publikum ganz hinten an der Wand. Der Begriff „Konzert“ schien nicht mehr ganz zu passen, denn Lyrus sind vor allem Rituale und dadurch entstehende Gemeinschaft wichtig. Für Lyhrus steht außer Frage, dass Rituale Menschen verbinden können und daher heilsam sind. Auch aus diesem Grund wählte er mit der Totenmesse einen der wichtigsten Texte aus der christlichen Liturgie.
Es dauerte lange, bis die beeindruckten Menschen auf den Kirchenbänken Beifall spendeten. Aber schließlich gab es dann auch Jubelrufe für diese starke Darbietung.
Am 22. November findet im Berliner Dom die eigentliche Uraufführung des gesamten Requiems statt, als sechster Kammerchor wird dann noch der im Aufbau begriffene „Cantus“ aus Berlin hinzukommen. An den Berliner Dom und seine akustischen Verhältnisse hat Lyhnus das Werk ausgerichtet, es werden dann hundert Sänger und Sängerinnen beteiligt sein.

I Vocalisti präsentierten in Herz-Jesu das vierte Teilkonzert des neuen Werkes. Foto: Svea Regine Feldhoff
Text-Nummer: 175541 Autor: Svea Regine Feldhoff vom 12.10.2025 um 08.49 Uhr
