Rosenkavalier in Lübeck: Glanz, Witz und Feinsinn

Lübeck - Innenstadt: Am Theater Lübeck erlebten die Zuschauerinnen und Zuschauer in dieser Saison eine beeindruckende Inszenierung von Richard Strauss’ Der Rosenkavalier. Kurz: Eine Aufführung, die gleichermaßen betörte, bewegte und zum Nachdenken anregte. Mit dieser Neuproduktion von Richard Strauss’ komödiantischer Oper ist dem Theater Lübeck ein großer Wurf gelungen.

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Unter der Leitung von Stefan Vladar spielte das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck am Premierenabend auf höchstem Niveau: Der Klang war reich und üppig, zugleich agil und transparent, ohne jemals schwerfällig zu wirken. Vladar fand eine perfekte Balance zwischen romantischem Schwelgen und klarer Durchsichtlichkeit in den Ensembles, was den vielschichtigen Orchesterapparat Strauss’ ideal zur Geltung brachte. Das Orchester bot ein beeindruckendes Klangbild, das sowohl romantisch üppig als auch rhythmisch lebendig war. Vladar gelang es, die Walzermotive Strauss’ präzise auszuarbeiten und gleichzeitig die feinen instrumentalen Schattierungen zu betonen. Die dynamische Abstufung zwischen Ensembles und Solisten war stets klar, wodurch sowohl humorvolle als auch lyrische Momente optimal herausgearbeitet wurden. Bereits vor Beginn des dritten Aktes erhielt das Orchester zu Recht einen Sonderapplaus. Ein Hinweis auf die Präzision und den Musiziergenuss, den die Musikerinnen und Musiker boten.

Die Regie von Michael Wallner wählte vordergründig eine eher klassisch-konventionelle Ausrichtung: Kostüme und Bühnenbild orientierten sich grob an der Mode um 1740. Auf den ersten Blick schien die Inszenierung die traditionellen Vorstellungen einer Rokoko-Oper zu bedienen. Tatsächlich wurde diese Konventionalität jedoch von Anfang an durch feinsinnige Brüche und Überzeichnungen sowie pointierte Regieentscheidungen gebrochen, was auf gelungene Art die Komik und die ironische Distanz des Stückes betonte. Damit traf die Inszenierung genau den Kern von Strauss’ und Hofmannsthals Intention, denn der Rosenkavalier ist weniger ein historisches Stück als eine subtile Satire auf das Wien um 1900 mit seiner Gesellschaft zwischen Glanz, Überreife und Eitelkeit. Und noch aus einem anderen Grunde ist der klassisch-konventionelle Ansatz von Wallner richtig, denn Strauss selbst wählte nach seinen revolutionären Vorstößen in den Opern Salome und insbesondere Elektra für den Rosenkavalier selbst eine merklich konservativere Gangart. Die harmonischen Schärfen, die in Elektra bis an die Grenzen der Tonalität führen, fehlen hier, wohingegen der Wiener Walzer im zweiten und dritten Akt eine besondere Rolle spielt. Dies darf sich auch in der Inszenierung widerspiegeln, vor allem wenn es so gelungen ist wie hier.

Angenehm auch, wie lebendig die Bühne genutzt wurde. Chor und Statisterie sorgten für ständige Bewegung, und die räumliche Tiefe des Bühnenbildes wurde gezielt ausgenutzt. Besonders hervorzuheben ist die Integration von Mitgliedern der Kostümbildnerei als Darsteller, was dem Ensemble einen zusätzlichen, fast meta-theatralischen Reiz verlieh. In den großen Arien und Ensembleszenen, wie der Rosenüberreichung im zweiten Akt oder dem abschließenden Terzett, wurde hingegen die Bewegung bewusst reduziert, wodurch emotionale Konzentration und musikalische Feinheiten besonders zur Geltung kamen.

Auf der sängerischen Ebene beeindruckten Evmorfia Metaxaki als Marschallin, Frederike Schulten als Octavian und Karola Sophia Schmid als Sophie. Metaxaki brachte die Marschallin stimmlich und darstellerisch mit großer Wärme und Reife auf die Bühne. Ihre Arie am Ende des ersten Aktes, in der sie über das Vergehen der Zeit und den Verlust ihrer Jugend reflektiert, war ein stiller, intensiver Höhepunkt. Schulten gestaltete Octavian jugendlich, wandlungsfähig und mit einer gelungenen Balance zwischen Unschuld und Leidenschaft, während Schmid als Sophie Leuchtkraft und Anmut einbrachte, von allen zugleich auch begleitet von einer großartigen, fein ausbalancierten schauspielerischen Leistung, die sich hervorragend in die Anlage ihrer Rollen fügte.

Johannes Maria Wimmer als Baron Ochs meisterte die Gratwanderung zwischen vordergründig charmant-gräflich und, besonders im dritten Akt, als derb-hintertriebenem Alt-Adeliger. Er traf die feinen Nuancen des Wienerischen exakt und brachte so sowohl Komik als auch Gesellschaftssatire überzeugend auf die Bühne. Auch alle Nebenrollen, stellvertretend seien Steffen Kubach (Faninal), Delia Bacher (Annina) und Noah Schaul (Valzacchi) genannt, sowie der Chor und die Statisterie agierten mit Spielfreude, Präzision und überzeugender Präsenz.

Die Kostüme zeigten Detailgenauigkeit und Charakterzeichnung. Besonders auffällig waren die Outfits von Faninal und Jungfer Marianne Leitmetzerin, die die Übertreibung und Lächerlichkeit der Versuche des Bürgertums, sich dem Adel anzupassen, pointiert sichtbar machten. Die Wirtshausszene im dritten Akt erhielt durch Licht- und Bühneneffekte eine fast dämonische Atmosphäre, während der Beginn des zweiten Aktes durch gezielt eingesetzte slapstickartige Momente die Komik und Leichtigkeit der Oper betonte. Der Kontrast zwischen humorvollen und ruhigen Szenen wurde von der Regie sensibel ausbalanciert.

Und doch: Hinter der humorvollen und glanzvollen Oberfläche mit viel Brokat wirkt im Rosenkavalier eine subtile Gesellschaftssatire, was zu zeigen den Beteiligten erfolgreich gelang. Strauss und Hofmannsthal präsentieren einen Adel, der seine Privilegien in Intrigen und Eitelkeit verschwendet, während das Bürgertum in seinem Bemühen, aufzusteigen, ebenso ins Groteske gerät. Zentral steht die Marschallin: Sie ist eine Frau des Adels, die sich einen jungen Liebhaber hält – ein Akt von Selbstermächtigung und persönlicher Freiheit, der zur Zeit der Uraufführung skandalös gewesen wäre. Ihre Fähigkeit, den Geliebten am Ende loszulassen, macht sie zur reflektierten, handlungsfähigen Figur. Die Besetzung von Octavian als Mezzosopran und damit als Hosenrolle fügt eine zusätzliche Dimension hinzu: Wenn die Marschallin und Octavian im ersten Akt auf der Bühne intim agieren, treffen zwei Frauen aufeinander, was subtil auch Fragen von Identität, Geschlechterrollen und Begehren verhandelt.

Das Schluss-Terzett war gleichzeitig Ruhepunkt, emotionaler Höhepunkt und poetischer Abschied. Besonders berührend war, dass die Marschallin die Bühne nicht als Verliererin verließ, sondern als gereifte Frau, die ihr Alter akzeptiert und zugleich neu gestalten kann. Das Publikum dankte zurecht mit lang anhaltendem, rhythmischem Applaus und stehenden Ovationen für alle Beteiligten.

Die Lübecker Inszenierung des Rosenkavalier überzeugte auf allen Ebenen: musikalisch, szenisch und darstellerisch. Sie kombinierte Strauss’ schwelgerische Opulenz mit feiner Ironie, subtiler Gesellschaftskritik und psychologischer Tiefe und zeigte, dass diese Oper weit mehr ist als nostalgische Komödie – ein Werk, das Humor, Menschlichkeit und Gesellschaftsbeobachtung meisterhaft verbindet.

Die Lübecker Inszenierung überzeugt auf allen Ebenen. Fotos: Jochen Quast

Die Lübecker Inszenierung überzeugt auf allen Ebenen. Fotos: Jochen Quast


Text-Nummer: 175678   Autor: Ulrich Witt   vom 19.10.2025 um 08.42 Uhr

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