Gedanken zum Reformationstag

Lübeck: Archiv - 29.10.2022, 08.54 Uhr: In ihren Gedanken zum Wochenende geht Pastorin i.R. auf den Reformationstag ein. Viele feiern am 31. Oktober auch Halloween, das ebenfalls einen christlichen Ursprung hat.

Übermorgen haben wir zwei Feiertage, seit einigen Jahren sogar schul- und arbeitsfrei. Für die Kinder und inzwischen auch viele Erwachsene ist es Halloween. Für kirchlich gebundene Menschen ist es der Reformationstag, die Erinnerung an den Tag, an dem Martin Luther seine 95 Thesen zur Erneuerung der Kirche an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg nagelte und damit letztlich die Entstehung unserer evangelisch-lutherischen Kirche in Gang setzte. Gewollt hat er das damals nicht, er wollte nur eine Reform der bestehenden Kirche.

Dass beide Tage zusammenfallen ist kein Zufall. Halloween ist ursprünglich ein irisches Fest. Durch irische Einwanderer und Einwanderinnen gelangte es in die USA, als ich dort in den sechziger Jahren als Austauschschülerin lebte, haben sie es schon gefeiert. Dann kam es zu uns – und die Süßwarenindustrie ist sicherlich froh darüber.

Halloween ist das katholische Fest Allerheiligen, das, gemeinsam mit Allerseelen, auch in Teilen Deutschlands bekannt und ein Feiertag ist. Dort wird der Toten gedacht, es ist eher traurig, aber so erklärt sich vielleicht das Gruseln. Wenn bei uns auf einigen Gräbern rote Leuchten stehen, dann folgen wir damit der Tradition dieses katholischen Feiertags.

An diesen Festtagen besuchte man zur Zeit Martin Luthers die Gottesdienste – man gruselte sich nicht, man sagte nicht: „Süßes oder Saures“, sondern man dachte an die Verstorbenen, an den eigenen Tod, deshalb besuchte man den Gottesdienst. Weil so viele Menschen an diesem Tag in die Kirche gingen, wählte Luther das Datum, um seine Überzeugungen bekannt zu machen und an die Kirchentür zu nageln. So hängen die beiden Tage zusammen. Beides sind ursprünglich christliche Feste.

Martin Luther war auch für unser Leben heute bedeutsam. Durch seine Übersetzung der Bibel ins Deutsche hat er eine – fast – einheitliche deutsche Sprache geschaffen. Wenn man Bayern oder Schwaben reden hört, kommt es uns Norddeutschen zwar nicht so vor, aber die Lutherbibel im Lutherdeutsch verstehen alle.

Revolutionär war die Idee sowieso, die Bibel zu übersetzen. Die Idee, dass Menschen alleine überprüfen können sollten, ob das stimmt, was ihnen Priester und Herrscher erzählten, war ein Sprengstoff, den man gar nicht unterschätzen kann, auch wenn wir uns inzwischen daran gewöhnt haben, dass es so ist. Totalitäre Staaten heute kontrollieren ihre Bürger, indem sie das Internet blockieren – vor Luther wurde einfach dafür gesorgt, dass in einer Sprache geschrieben und gelesen wurde, die niemand verstand.

Wenn heute mündige und informierte Bürgerinnen und Bürger gefordert werden, dann hat Martin Luther das damals für die Kirche gefordert. Er war auch mit anderen Lehren nicht einverstanden – wir alle wissen, dass er dagegen war, dass man Verstorbene nachträglich durch Geldspenden freikaufen konnte. Das war eine ausgezeichnete Einnahmequelle – keine Leistung, keine Ware gegen sehr viel Geld.

Leider hat die lutherische Kirche anschließend lange diese lutherische Freiheit vergessen, das muss ich zugeben, erst im letzten Jahrhundert hat sie sie wiederentdeckt. Deshalb ist es wichtig, dass wir diese Erkenntnis Luthers in Ehren halten, pflegen, immer wieder neu bei Dingen um Verstehen und Erkenntnis suchen und nicht nur einfach Dinge glauben – weil sie jemand sagt, weil sie im Internet stehen. Natürlich müssen wir auch Informationen überprüfen, genau darum ging es Martin Luther unter anderem, dass Menschen selbst lesen und überprüfen konnten, was ihnen erzählt wurde.

Reformationstag bedeutet, dass wir befreit sind – befreit, selbst zu denken, selbst unseren Glauben zu entdecken. Deshalb ist es schön, des wir den Feiertag haben, um unsere Freiheit zu feiern. Wenn dann Kinder bei mir an der Haustür klingeln sollten, dann gönne ich ihnen den Spaß – auch das ist Freiheit, so etwas tun zu können. Über diesem Spaß aber sollte nicht vergessen werden, immer wieder neu zu überdenken, was wichtig ist, was wir tun sollten, was Gott von uns will.

Pastorin i.R. Ellen Naß geht in ihren Gedanken zum Wochenende auf den Reformationstag ein.

Pastorin i.R. Ellen Naß geht in ihren Gedanken zum Wochenende auf den Reformationstag ein.


Text-Nummer: 154689   Autor: red.   vom 29.10.2022 um 08.54 Uhr

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