Eugen Onegin - ein Liebesdrama

Lübeck: Archiv - 03.09.2023, 12.11 Uhr: Mit großen Gefühlen hinein in die neue Opernspielzeit an der Beckergrube: Mit Pjotr Tschaikowskys „Eugen Onegin“ hat GMD Stefan Vladar einen Klassiker gewählt, dessen Melancholie die Besucher seit Generationen in Bann zieht. Nun hat ihn Julia Burbach in Szene gesetzt und führt von der Melancholie zur Dramatik – das Premierenpublikum war am Ende begeistert.

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„Lyrische Szenen“ hat Tschaikowsky diese drei Stunden nach dem Roman von Alexander Puschkin genannt. Sie spielen auf dem Land und mit den Gefühlen. Julia Burbach hat sie aus dem 19. Jahrhundert in ein ortloses Jetzt geholt, um zu zeigen, daß Liebe Menschen beflügelt – sie aber ebenso erschüttern und vernichten kann, wenn man in der Oberflächkichkeit verharrt. Daher auch der Kontrast, indem Burbach den Chor nicht als biedere Landleute agieren läßt, sondern als eine überkandidelte Gesellschaft: Sie stülpt sich über den Einzelnen, in ihr ist das Individuum verloren.

Das vermittelt auch die beeindruckende Szene von Agnes Hasun: Riesige, eckige Säulen lassen die Menschen und ihre Probleme klein erscheinen – egal, welche Seite die Drehbühne auch zeigt. Und beeindruckend ist, wie die im letzten Akt in immer schnellerer Bewegung die Ausweglosigkeit zeigt. Allerdings läßt sie im ersten Akt keine Intimität aufkommen: Tatjanas Zimmer ist bei aller guten Lichtregie (Falk Hampel) und einer Fokussierung auf die Gedankenwelt – mit Neon-Rahmen und Gefühle-Schaukel – ein Saal. Den wiederum nutzt Klevis Elmazaj (Choreographie) für Wahnsinnsausgelassenheiten des großen Chors (mit der von Jan-Michael Krüger wie stets erprobten Präzision).

Dass hier nicht gewöhnliche Menschen am jeweiligen Lebensentwurf arbeiten, unterstreicht auch Bettina John mit ihren Kostümen: Enganliegende lange Eleganz bei den Frauen, stilisierte Korrektheit bei den Männern in diesen Hallen, die einen das Fürchten lehren könnten, wären da nicht die romantische Musik und die Wärme einzelner Menschen.

Hier steht, im fast vollzähligen Lübecker Ensemble, Evmorfia Metaxaki an der Spitze: In ihrer umfangreichen Partie gibt sie der Tatjana bei aller Frische eine Seele, ihr Sopran ist nicht so sehr lyrisch als dramatisch, was sie furios im Finale zeigt, wenn sie Eugen Onegin in die Schranken weist. Und der, der mit der Liebe spielt, bleibt beim gezügelten Bariton Jacob Scharfman lokal wie vokal stets auf Distanz – bis aufs Finale, da er mehr verzweifelt als verzichtet. Gustavo Mordente Eda als Lenski-Gast kann dagegen Gefühle zeigen und seinen Tenor blühen lassen. Und Runi Brattaberg bringt mit der großen Fürst Gremin-Arie seine große Bass-Kultur zur Geltung. Beweglich, nur stimmlich noch nicht völlig präsent in der Premiere waren Julia Grote (Larina), Laila Salome Fischer (Olga), Edna Prochnik (Filipjewna), während Noah Schaul den Triquet zelebrierte.

Offenhörig noch nicht in Form waren so kurz nach Spielzeitbeginn manche auf der Bühne – und auch im Orchestergraben: So ungereimt wie in den ersten beiden Akten hat der Rezensent die Philharmoniker der Hansestadt nur ganz selten gehört. Nach der Pause waren sie jedoch wie umgewandelt. GMD Stefan Vladar ließ zunächst einen deftigen Tschaikowsky-Mainstream musizieren, dem es an Ruhe und Lyrismen mangelte. Im 3. und 4. Akt verdichtete sich das Klangbild dann und es kamen voll zur Gelting die berühmten Arien – die das Publikum mit Szenenapplaus bedachte, um am Ende stark und lange zu applaudieren.

Evmorfia Metaxaki als Tatjana und Jacob Scharfman als Eugen Onegin. Fotos: Jochen Quast

Evmorfia Metaxaki als Tatjana und Jacob Scharfman als Eugen Onegin. Fotos: Jochen Quast


Text-Nummer: 160943   Autor: Güz.   vom 03.09.2023 um 12.11 Uhr

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