Musical im Großen Haus: Eine Mordsgaudi

Lübeck: Archiv - 15.10.2023, 14.50 Uhr: Das Lübecker Theater bietet wieder leichte Unterhaltung: Das Musical „Sweeney Todd“ von Erfolgskomponist Steven Sondheim ist eine Mordsgaudi – und wurde bei seiner Premiere im Großen Haus von einem großen Publikum begeistert aufgenommen. Denn weder sparten Regisseur Werner Sobotka mit Einfällen noch geizten Dirigent Nathan Bas mit Tempo und Larmoyanz sowie die Philharmoniker mit Spielfreude.

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Szene und Handlung: Old England, old London im 19. Jahrhundert zu Zeiten Oliver Twists und Jack the Rippers. Der Barbier Benjamin Barker kehrt nach 15 Jahren, die er unschuldig in Verbannung verbracht hat, zurück unter dem Namen Sweeney Todd und rächt sich an der Gesellschaft, indem er das Rasiermesser als Mordwaffe nutzt – dabei weidlich unterstützt von Mrs Nellie Lovett, die einen Pastetenladen betreibt. Um die Opfer verschwinden zu lassen, werden sie gemahlen und verbacken... Drumrum ranken sich Intrige und auch etwas Liebe, den Grusel very British konterkariert durchgeknallter Humor.

Hierbei leisten die farbenfrohen Kostüme von Elizabeth Gressel ebenso ihren Beitrag wie die Bühnengestaltung durch Stephan Prattes: Quasi Hänsels und Gretels Hexenhaus ist doppelstöckig mit Falltür, der Ofen riesig, das Bühnen- ebenso wie das Rang-Rund verhangen mit Plastikfolie – aber keine Bange: Das Blut fließt nicht, sondern droht nur optisch aus den Scheinwerfern.

Im spielfreudigen Ensemble ragen die beiden Hauptprotagonisten heraus. Mit Patrick Stanke in der Titelrolle, der vom Barbier zum Halsabschneider wird, und Carin Filipcic als Mrs. Lovett sind zwei ausgewiesene Musical-Spezialisten verpflichtet worden, deren Stimmen (Tenor, Sopran) die gute Ausbildung verraten. Sie geben ihren Rollen Profil, der Gast aus Wien avanciert dabei immer mehr zum Mittelpunkt: Filipcic versprüht als komische Alte einen Witz, der Szenenbeifall geradezu herausfordert.

Als junges Liebespaar geben Laurence Kalaidjian und Elvire Beekhuizen gute Figur ab und vokalen Wohllaut, Franz Gürtelschmied die lustige Friseur-Figur des Pirelli, Thomas Stückemann einen ominösen Mr. Fogg und Simon Rudoff einen Vogelhändler. Aus dem heimischen Ensemble kommt ebenfalls Profil: Steffen Kubach ironisiert den Richter Turpin, Andrea Stadel verhext eine Bettlerin, Gustavo Mordente Eda schreitet den Büttel Banford – und Noah Schaul als Tobias Rogg ist tenoral wie mimisch das Abbild des Märchen-Hänsel. Der Chor (den Jan-Michael Krüger wie stets präzisierte) funktioniert volkstümlich und bringt proletarische wie phantastische Bewegung (Choreographie: Natalie Holtom) rund um die Bretterbude.

Steven Sondheims Partitur ist anspruchsvoll, weniger die vokalen Partien mit den typischen lakonischen Rezitativen, als der Orchestersatz. Hier ist jede Gruppe gefordert, vom Grusel-Orgelauftakt über den weichen amurösen Sound bis zu kraftvollen Ballungen, wenn es heißt: Die Welt hat ein Loch wie ein Höllenschlund. Nathan Bas weiß die Philharmoniker in jede Emotionslage zu versetzen, auf daß die Klanggrundlage für jede der nahtlos folgenden Szenen stimmt.

Das Premierenpublikum war von allem Gebotenen sehr angetan. Einige jüngere Besucher zogen sich die Aufführung geradezu rein, ebenso das mitgebrachte Flaschenbier. Alte Zeiten auf der Bühne, neue im Parkett.

Die Premiere wurde vom Publikum gefeiert. Fotos: Olaf Malzahn

Die Premiere wurde vom Publikum gefeiert. Fotos: Olaf Malzahn


Text-Nummer: 161813   Autor: Güz.   vom 15.10.2023 um 14.50 Uhr

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