SPD-Parteitag: Aufbruchstimmung und Zündstoff

Bei Sandra Odendahl waren 100 stimmberechtigte Mitglieder im Saal, so dass es auch 93% wurden. Beim Wahlgang von Tim Klüssendorf lagen aber nur 95 Stimmzettel in der Urne, so dass er mit seinen 93 Stimmen auf sagenhafte 97,9 % kam. Beide hatten in ihren Reden betont, dass sie den Mehltau, der seit der verlorenen Landtagswahl über der Partei lag, energisch abstauben wollten. Damit trafen sie exakt die Stimmung der Parteibasis an diesem Samstag. Man will wieder politisch Einfluss nehmen, die Parteiarbeit soll belebt werden und das "Wir" Gefühl und der Zusammenhalt untereinander sollen wieder gestärkt werden.

Die Basis hat sich dann auch gleich gemeldet. Lennart Diener, Vorsitzender des Ortsverbandes St. Jürgen, hatte den Antrag eingebracht, die Fraktionsgemeinschaft mit den Freien Wählern in der Lübecker Bürgerschaft auf den Prüfstand zu stellen. Zahlreiche Parteimitglieder wollten wissen, wie diese Fraktionsgemeinschaft überhaupt zustande gekommen war. Sie fühlten sich irgendwie übergangen. Diese Kuh holte der Parteitag zunächst einmal vom Eis. Eine zentimeterdicke Antragsmappe lag auf dem Tisch und die will man abarbeiten, bevor man sich auf einer gesondert einzuberufenden Veranstaltung mit dieser brisanten Problematik auseinandersetzt. Die Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder folgte daher der vom Vorstand angeregten Vertagung. Die Debatte über die künftige Zusammenarbeit mit den Freien Wählern ist damit aber definitiv losgetreten.

Bittere Klagen dann von Christian Steen, Parteimitglied aus Moisling seit 48 Jahren. Man hatte ihm am Eingang keine Stimmkarte ausgehändigt, da er im Parteicomputer MAVIS, der zentralen Anlaufstelle für alle Mitgliederdaten, nicht als Delegierter gemeldet war. Nur ein Moislinger hatte zunächst überhaupt eine Stimmkarte, was sich aber im Verlauf der Veranstaltung langsam aufklärte. Bis auf Steen selbst konnten die anderen nachweisen, dass sie ihre Registrierung beantragt hatten. Witze über 'Smart City' prallten am erheiterten Jan Lindenau ab. Damit hat Lübeck nichts zu tun, war der knappe und zutreffende Kommentar. Berichte über selbst erlebten Murks mit dem in Dortmund beheimateten MAVIS System machten dennoch im Saal die Runde.

Die Landesvorsitzende Serpil Midyatli war natürlich vor Ort und schwor die Delegierten auf die Positionen der SPD ein. Insbesondere der immer wieder in die Diskussion gebrachte drohende Sozialabbau wurde von ihr deutlich zurückgewiesen. Zusammen mit Enrico Kreft war natürlich die anstehende Europawahl ebenfalls Thema. Die sozialdemokratische Sicht bei der Lösung aller schwelenden Konflikte muss nach beider Meinung erhalten bleiben. Es komme darauf an, den sozialdemokratischen Einfluss auch auf europäischer Ebene zu stärken.

Viele gute Wünsche erreichten Tim Klüssendorf und Sandra Odendahl, die mit ihren jeweiligen Talenten die Partei wieder stärker in Bewegung setzen wollen. Da Tim Klüssendorf in Berlin durch sein Bundestagsmandat stark gefordert ist, aber auch über enorme Organisationserfahrung verfügt und das Lübecker Revier gut kennt, wird er diesen Part abdecken. Sandra Odendahl weiß, dass auf sie in Lübeck viel Arbeit wartet. Beiden wurde vom Parteitag viel Rückhalt und Sympathie entgegengebracht. Das ist ein guter Start, aber das Parteileben ist hart, und es war im Saal spürbar, dass die Erwartungen an die beiden sehr hoch sind.

Im Original-Ton hören Sie ein Interview von Harald Denckmann mit den neuen Kreisvorsitzenden Sandra Odendahl und Tim Klüssendorf.

Tim Klüssendorf und Sandra Odendahl wurden mit deutlicher Mehrheit zur neuen Parteienspitze gewählt. Fotos, O-Ton: Harald Denckmann

Hier hören Sie den Originalton:

Text-Nummer: 165547   Autor: Harald Denckmann   vom 27.04.2024 um 18.13 Uhr