Promenaden-Posse: Leitsystem für Blinde endet am Laternenmast
Lübeck - Travemünde: Archiv - 16.03.2024, 15.27 Uhr: Zur Eröffnungsfeier vor zwei Jahren kam, was Rang und Namen hat in Lübeck: Kurdirektor Uwe Kirchhoff, Wirtschaftssenatorin Pia Steinrücke, der damalige Stadtpräsident Klaus Puschaddel, Bürgermeister Jan Lindenau und Tourismus-Chef Christian Martin Lukas schnitten feierlich ein rotes Bändchen auf der Trave-Promenade durch. Nur wenige Meter entfernt von einer ärgerlichen Fehlkonstruktion: Die Leitlinien, an denen sich Blinde orientieren sollen, führen direkt auf eine Reihe Laternenmasten zu.
Die Leitlinien führen auf eine Reihe von Laternenmasten zu ...
Entlang von Rillen, die in den Boden eingelassen sind, orientieren sich Blinde mit ihren Stöcken. Dafür müssen die Rillen natürlich freigehalten werden. Nach einem Bericht auf HL-live.de wurden immerhin auf dem Leitstreifen abgestellte Mülltonnen weggeräumt. Die Kritik in den sozialen Netzwerken blieb: „Top gelöst, stolperst nicht über Mülltonnen. Rennst nur volles Rohr gegen die Pfeiler“, schrieb etwa ein Leser in der Facebook-Gruppe „Travemünder Magazin“.
HL-live.de hat nochmal den Blinden- und Sehbehinderten-Verein Schleswig-Holstein um eine Einschätzung der neuen Trave-Promenade gebeten. Der Verein ist Interessenvertreter von Menschen, die auf einen „auch mit Langstock gut begehbaren öffentlichen Raum angewiesen sind“, wie der Vorsitzende Dr. Jürgen Trinkus erklärt. Experten auf dem Gebiet seien die Rehabilitationsfachkräfte, „die mit blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen die Mobilität trainieren“. Trinkus verweist dabei auf Andreas Wendt.
Experte: "Das ist in der Tat zu eng"
Die Leitlinie unterhalb der Stufen führe „sehr dicht den Laternenmasten entlang“, bestätigt Andreas Wendt auf den ersten Blick. „Das ist in der Tat zu eng, die DIN-Norm sieht ein Abstand von 60 Zentimetern vor“, sagt der Experte. Tatsächlich beträgt der Abstand zum Laternenmast keine zwanzig Zentimeter.
Nicht DIN-Norm: Statt 60 Zentimeter beträgt der Abstand zwischen Leitlinie und Laternenmast keine 20 Zentimeter.
Noch mehr Probleme: "Leitlinie von blinden Passanten taktil nicht so leicht aufzufinden“
Doch das ist noch nicht alles: Vor der unteren Stufe müsste eigentlich ein Noppen-Streifen („Aufmerksamkeitsfeld“) verlegt sein. Und: „Die Leitlinie verläuft auch dicht entlang an einem Granitpflasterstreifen und ist so von blinden Passanten taktil nicht so leicht aufzufinden.“ Für die Verlegung von Bodenindikatoren gibt es die DIN Norm 32984, weiß der Experte. „Hier ist vorgesehen, dass vor Treppenanlagen vor der unteren beziehungsweise oberen Stufe jeweils Noppen Pflaster zu verlegen ist.“
Der Planer hätte dies auch bei „normalen“ Treppenanlagen berücksichtigt. Im Gebiet der Promenade und auch gegenüber auf dem Priwall, der neu gestaltet wurde, gäbe es aber auch Stufen, die als Sitzstufen nur den Niveauunterschied ausgleichen und nicht eigentlich Zielführend seien (also irgendwohin führen, zum Beispiel in ein Café). „Hier ist ein gewisses System erkennbar: Vor der zielführenden Stufe sind korrekt Noppen verlegt, während längs der Verweilstufen Rippenstreifen zu den zielführenden Stufen leiten. Dies ist allerdings nicht der DIN-Norm entsprechend.“
Vor der zielführenden Stufe sind korrekt Noppen verlegt, während längs der Verweilstufen Rippenstreifen zu den zielführenden Stufen leiten. Laut dem Experten des Blinden- und Sehbehinderten-Vereins ist auch das nicht der DIN-Norm entsprechend.
Während die Problematik mit den Mülltonnen auf dem Leitstreifen recht leicht zu lösen war, dürfte die Sache mit den Laternenmasten nun etwas schwieriger in Ordnung zu bringen sein – wenn man denn möchte.
Im Mai 2022 wurde die neu gestaltete Travepromenade feierlich eröffnet. Doch in einem wichtigen Detail entspricht die Flaniermeile nicht der Norm. Fotos: Karl Erhard Vögele (1), Helge Normann(3)
Text-Nummer: 164764 Autor: Helge Normann vom 16.03.2024 um 15.27 Uhr