Fehlerhafter Antrag: Puschaddel scharf kritisiert

Lübeck: Archiv - 29.11.2021, 09.25 Uhr: Die Bürgerschaftsmitglieder der Fraktion 21, Anka Grädner und Wolfgang Neskovic, werfen Stadtpräsident Puschaddel schwere Pflichtverletzungen vor. In seiner Eigenschaft als Stadtpräsident sei er Schutzpatron der ihm anvertrauten Mitglieder der Lübecker Bürgerschaft. Über Parteigrenzen hinweg gehöre es zu seinen vorrangigen Kernaufgaben, die Gesundheit der Bürgerschaftsmitglieder zu schützen und die Ausübung des "freien" Bürgerschaftsmandats zu sichern.

Diese Pflichten habe er grob verletzt, indem er in der letzten Sitzung der Bürgerschaft eine Vorlage zur Durchführung von Videositzungen eingebracht und es dabei unterlassen habe, ausdrückliche Regelungen für die Durchführung von sogenannten Hybridsitzungen vorzuschlagen.

Hierzu erläutert der Vorsitzende der Fraktion 21 Wolfgang Neskovic:

(")Der Landesgesetzgeber hat aufgrund der Corona-Pandemie in § 35a der Gemeindeordnung (GO SH) - aus Gründen des Gesundheitsschutzes und um die Ausübung des sogenannten freien Mandats zu sichern - die Möglichkeit eröffnet, dass Gemeindevertretungen ausnahmsweise unter bestimmten engen Voraussetzungen statt der persönlichen Teilnahme auch virtuell in einer Videositzung tagen können. In der Gesetzesbegründung ist ausdrücklich klargestellt, dass auch eine Hybridsitzung (gemischte Sitzung mit persönlicher oder virtueller Teilnahme) eine Videositzung im Sinne des Gesetzes ist. Die Lübecker Bürgerschaft hat sich diese Sichtweise (rechtlich) zu eigen gemacht, indem sie die gesetzliche Regelung ohne Abänderungen in ihre Hauptsatzung und ihre Geschäftsordnung übernommen hat. Nähere Einzelheiten zur technischen Umsetzung und Durchführung von Videositzungen sollten in einer noch zu erstellenden Anlage zu der geänderten Geschäftsordnung erarbeitet werden. Die Verantwortung für die Erarbeitung einer entsprechenden Vorlage für die Bürgerschaft hat Stadtpräsident Puschaddel übernommen.

Die von Herrn Puschaddel erstellte Vorlage ist jedoch fehlerhaft. Sie ignoriert den Willen des Gesetzgebers, weil sie keine ausdrücklichen Regelungen für die Durchführung von Hybridsitzungen enthält. Gründe für diese Unterlassung hat Herr Puschaddel nicht vorgetragen. Die Tatsache, dass die Sitzungsleitung bei einer Hybridsitzung in gewisser Hinsicht gewöhnungsbedürftig ist und unter Umständen auch eine höhere mentale Leistungskraft erfordert, rechtfertigt nicht den Verzicht auf die Möglichkeit der Durchführung einer Hybridsitzung. Wenn schon die Gemeindevertretung in Quickborn im Dezember 2020 (.) und viele andere Gemeinden in Deutschland die Möglichkeit einer Hybridsitzung für ihre Gemeindevertretungen eingeführt haben, warum sperrt sich Herr Puschaddel gegen diese Handlungsoption? In Zeiten der Corona-Pandemie ist die Hybridsitzung der Königsweg, um Gesundheitsschutz und die Ausübung des "freien Mandats" gleichermaßen zu sichern."

Das Bürgerschaftsmitglied Anka Grädner fährt fort:

(")In diesem Zusammenhang ist – um Missverständnissen vorzubeugen – klarzustellen, dass es nicht darum geht, Hybridsitzungen als allgemeines Sitzungsprinzip einzuführen. Vielmehr will der Gesetzgeber in ausschließlich eng umgrenzten Ausnahmenfällen einen nachvollziehbaren Ausweg anbieten, um Gesundheitsschutz und die Ausübung des "freien Mandats" gleichermaßen zu gewährleisten.

Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn in Zeiten einer Pandemie ein Mitglied einer Gemeindevertretung, das einer gesundheitlichen Risikogruppe angehört oder sich in Quarantäne befindet und deswegen an einer Präsenzsitzung nicht teilnimmt, nicht die Möglichkeit der Teilnahme in der Form einer Hybridsitzung eingeräumt wird, obwohl es rechtlich und tatsächlich (technisch) unter den Voraussetzungen des § 35a GO SH eine solche Möglichkeit gibt, dann wird verfassungswidrig in dessen Recht auf "Wahrnehmung des freien Mandats" eingegriffen.(")

Grädner und Neskovic:

(")Unter diesem Gesichtspunkt stellt es eine schwere Pflichtverletzung dar, wenn der/die Vorsitzende der Gemeindevertretung bei der gegebenen Gesetzeslage "in Fällen höherer Gewalt" die Ausübung des "freien Mandats" dadurch blockiert, dass er/sie sich weigert, einem Gemeindevertreter oder Gemeindevertreterin die Teilnahme an der Gemeindevertreterversammlung in der Form einer Hybridsitzung zu ermöglichen. Wer sich zum Beispiel in Quarantäne befindet, dem ist es bei Strafandrohung verboten, in Präsenz an einer Sitzung der Gemeindevertretung teilzunehmen. In einem solchem Fall soll einer Gemeindevertreter:in als Ersatz zumindest die Möglichkeit einer virtuellen Teilnahme in der Form einer Hybridsitzung eingeräumt werden, um sein/ihr Mandat ausüben zu können.

Die Mitglieder der Lübecker Bürgerschaft haben nach der Rechtsprechung gegenüber dem Stadtpräsidenten Puschaddel einen nach Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes verbürgten Anspruch auf körperliche Unversehrtheit. Danach sind Bürgerschaftsmitglieder grundsätzlich während der Bürgerschaftssitzung von gesundheitsgefährdenden Einwirkungen zu verschonen. Kein Bürgerschaftsmitglied darf vor die Wahl gestellt werden, sich zwischen der Ausübung des Mandats oder dem Schutz der eigenen Gesundheit entscheiden zu müssen. Um ein solches Dilemma zu vermeiden, ist die vom Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit einer Hybridsitzung ein angemessener und notwendiger Weg. Nur so gelingt es, sowohl die Gesundheit von Bürgerschaftsmitgliedern zu schützten als auch die Ausübung des Bürgerschaftsmandats zu gewährleisten. Es ist kein vernünftiger Grund erkennbar, sich in solchen absoluten Ausnahmefällen wie der Corona-Pandemie der gesetzlichen Handlungsoption der Durchführung einer Hybridsitzung zu verweigern. Das Unterlassen, die Anlage zur Geschäftsordnung um eine ausdrückliche und verständliche Regelung für Hybridsitzungen zu ergänzen, könnte zudem zu erheblichen rechtlichen Konsequenzen führen. Betroffene Gemeindevertreter könnten im Rahmen einer sog. kommunalverfassungsrechtlichen Streitigkeit vor das Verwaltungsgericht ziehen und mit guten Erfolgsaussichten einen verfassungswidrigen Eingriff in das "freie Mandat" rügen. Die Peinlichkeit von einem Verwaltungsgericht zurückgepfiffen zu werden, sollte Herr Puschaddel sich ersparen. Sie würde das Vertrauen in seine pflichtgemäße Amtsführung entscheidend schwächen.(")

Wolfgang Neskovic und Anka Grädner kritisieren Stadtpräsident Puschaddel für die von ihm erstellte Vorlage.

Wolfgang Neskovic und Anka Grädner kritisieren Stadtpräsident Puschaddel für die von ihm erstellte Vorlage.


Text-Nummer: 148671   Autor: Frak. 21/Red.   vom 29.11.2021 um 09.25 Uhr

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