Großes Opernvergnügen: Albert Herring

Lübeck - Innenstadt: Archiv - 11.03.2023, 14.05 Uhr: Die Krönung der Serie mit Werken von Benjamin Britten bringt zweifellos nun seine komische Oper „Albert Herring“ im Großen Haus: Diese drei Stunden – erneut serviert vom Team Stephen Lawless (Regie) und Ashley Martin-Davis (Ausstattung) – bereiten höchstes Vergnügen. Selten stehen Bühnengeschehen und Musik auch so im Einklang, weil Dirigent Takahiro Nagasaki alle Facetten der Partitur, die deftigen wie die filigranen, zum Klingen bringt.

Das Geschehen ist schnell skizziert: In einer englischen Kleinstadt suchen die biederen Honoratioren eine Maienkönigin, finden aber statt eines unbescholtenen Mädchens nur das männliche Mauerblümchen Albert Herring, der im Laden seiner Mutter arbeitet. Diesen Vorgang und seine Folgen laden Librettist Eric Crozier und der Komponist mit typisch englischem Humor auf. Der beginnt schon beim Namen: Vor Generationen nannte man auch bei uns einen Kaufmannsgehilfen einen Heringsbändiger. (Solch Spott würde heute allerdings einen Shitstorm auslösen, da es Ironie nicht mal mehr auf Rezept geben darf.)

Lawless hat seine Inszenierung 1952 angesiedelt und mit Stummfilmszenen garniert. Sie lebt vom Wenden des Normalen ins Bizarre und von einer Liebe zum Detail, wovon jedes überrascht und doch richtig platziert ist. Wie sich Lady Billows (Bea Robein), Miss Florence Pike (Julia Grote), Lehrerin Wordsworth (Andrea Stadel), Pfarrer Gedge (Steffen Kubach), Bürgermeister Upfold (Wolfgang Schwaninger) und Polizeichef Budd (Mario Klein) auf ihrer Maikönigin-Suche-Sitzung gerieren und in die Wolle geraten – das bildet ein Panoptikum erster Klasse. Was es zu singen hat, ist melodisch und doch nicht eben einfach, aber die Akteure springen sicher in die Höhen und Tiefen des jeweiligen Charakters wie dann auch alle anderen Protagonisten.

Ins Zentrum gerät Albert Herring: Frederick Jones beherrscht die Partie nicht nur mit seinem biegsamen Tenor, sondern bringt auch die Studie eines biederbraven Jünglings, der plötzlich mitten ins Leben fällt. Vor ihn gestellt ist auch die sich mausernde Jugend, wobei das Paar Nancy (Laila Salome Fischer) und Sid (Jacob Scharfman) schon aus dem Schatten der Alten tritt – und auch stimmlich trefflich vorangeht dem Kicher-Trio Cis (Valentina Rieks), Emmy (Natalya Bogdanova) und Harry (Jasper Florens Bartsch) mit bester Naiv-Komik. Ein nicht geringes Aufgebot an Statisterie sorgt für Augenfutter ebenso wie für Anregung der Lachmuskeln. Den englischen Humor zwischen Bizarrerie und Schwärze trägt das Ensemble auch noch ins Parkett – wer Glück hat, bekommt von Andrea Stadel ein Sweety.

Dieser Humor findet seine Entsprechung vollauf in Brittens bis in die Sechzehntelnote ausgefeilter Partitur. Takahiro Nagasaki unterstreicht einmal mehr sein Können und Fingerspitzengefühl: Aus einem Instrumentalensemble – es ist nicht größer als das Sängerensemble auf der Bühne – solch eine Klangvielfalt und auch Klangfülle herauszudestillieren und jeder Stimme auf der Bühne und im Graben alle Sicherheit zu geben, zeigt den Ersten Kapellmeister als Meister.

Die Inszenierung ist top, die musikalische Seite ebenfalls spitzenmäßig: Das Premierenpublikum war mit- und hingerissen, der Beifall geradezu jubelnd.

Regisseur Stephen Lawless. Foto: Veranstalter

Regisseur Stephen Lawless. Foto: Veranstalter


Text-Nummer: 157277   Autor: Güz   vom 11.03.2023 um 14.05 Uhr

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