Gedanken zum Karfreitag

Lübeck: Archiv - 07.04.2023, 09.37 Uhr: Pastorin i.R. Ellen Naß geht in ihren Gedanken zum Karfreitag auf die Bedeutung des Feiertages ein. Christen gedenken an diesem Tag der Kreuzigung von Jesus Christus. Auch heute gibt es in einigen Ländern noch die Todesstrafe.

In der letzten Woche habe ich im Fernsehen einen Bericht über eine Frau gesehen, deren Tochter vor 5 Jahren im Iran erhängt wurde. Sie hatte sich gegen einen Vergewaltiger gewehrt und ihn dabei erstochen. Deshalb war sie zum Tod verurteilt worden. Ihre Mutter hat es sich seitdem zur Aufgabe gemacht, die Todesstrafe zu bekämpfen. Man sah dieser Frau an, wie sie, auch nach fünf Jahren, noch unter dem Tod und dem Schicksal der Tochter litt.

Dieser Bericht ging mir sehr nahe. Wahrscheinlich wäre die junge Frau auch schrecklich bestraft worden, wenn sie sich NICHT gewehrt hätte, wegen Unzucht oder ähnlichem. Die ganze Machtlosigkeit von Menschen in einem Unrechtsregime wurde deutlich - und wie Angehörige und Freunde mit unter dem Unrecht leiden.

Der Bericht über diese Frau und ihre Tochter brachte mir die Ereignisse der Karwoche auf ganz neue Weise nah. Denn auch Jesus lebte in einem Unrechtsregime, Mitglieder besiegter und unterdrückter Völker, Frauen, Sklaven und Sklavinnen, waren völlig rechtlos. Wir stehen manchmal in Süddeutschland oder in Mittelmeerländern staunend vor den großartigen Überresten der römischen Kultur – ich selber habe viele in Großbritannien besichtigt – aber darüber vergisst man nur zu leicht die Brutalität und das Unrecht dieses Reichs. Jünger Jesu und seine Mutter standen unter dem Kreuz, litten mit ihm.

Jesus wurde als Unschuldiger grausam gefoltert und getötet. Christen und Christinnen glauben, dass er in seinem ganzen Leben überhaupt gar keine Schuld auf sich geladen hat. Das kann von uns anderen Menschen niemand von sich behaupten. Trotzdem werden und wurden viele – wie diese junge Frau im Iran – unschuldig hingerichtet, weil sie eben dieses Verbrechen gar nicht begangen haben, weil sie aus politischen und religiösen Vorurteilen heraus ermordet wurden.

Jesus hat unsere Schuld getragen, er selbst war unschuldig. Wer in die Mühlen einer Unrechtsdiktatur gerät, hat keine Chance. Jesus hätte vielleicht – wie seine Spötter unter dem Kreuz ihm vorgeschlagen haben – Gottes Engel zur Hilfe herbeirufen können, aber sonst hatte er, wie die vielen anderen auch, keine Möglichkeit, dem schrecklichen Schicksal zu entkommen. Aber er wollte nicht, um unseretwillen.

Den Christen der ersten Jahrhunderte war es sehr peinlich, dass unser Religionsgründer so unrühmlich gestorben ist. Von solch einem Menschen – einem Sohn Gottes! - erwartete man Heldentaten, große Siege in Kämpfen, weise Worte, große Wunder, keinen Sklaventod am Kreuz, dem Freunde und Angehörige hilflos zusehen mussten.

Doch weil Jesus diesen schmählichen und grauenvollen Tod gestorben ist, wissen wir, dass wir in unserem Leid nicht allein sind. Ein großer Held, ein weiser, entrückter Mann, ein mächtiger Herrscher, hat kein Verständnis für unsere Sorgen, Nöte und Ängste, kann sich auch nicht hineinversetzen und jemand nahe sein, der oder die durch Willkür verurteilt wurde. Jesus kann es, Gott kann es, Er hat es selbst erlitten, an jenem ersten Karfreitag am Kreuz.

Karfreitag denken wir nicht nur daran, dass Gott uns unsere Schuld immer wieder vergibt, auch die kleinen Sünden, die wir täglich begehen. Wir denken auch daran, dass Gott nicht nur ein Opfer gebracht hat für uns, sondern dass Er selbst zum Opfer geworden ist, zum Opfer einer willkürlichen Unrechtsjustiz, so, wie es seitdem unendlich vielen anderen ergangen ist und auch heute noch ergeht.

Gott ist bei ihnen allen, als einer der ihren, ich denke, auch bei denen, die gar nichts von Ihm wissen. Ich wünsche dieser Mutter viel Kraft in ihrer Trauer und für ihren Kampf. Gott sieht die Menschen, denen Unrecht geschieht, in Seinen Augen sind sie wertvoller als alle anderen, in Seinem Gedächtnis sind sie auf ewig aufgehoben. Das hebt das Unrecht nicht auf, aber es gibt Trost. Deshalb ist der Karfreitag als Feiertag wichtig.

Pastorin i.R. Ellen Naß erinnert an die Bedeutung des Karfreitags.

Pastorin i.R. Ellen Naß erinnert an die Bedeutung des Karfreitags.


Text-Nummer: 157841   Autor: red.   vom 07.04.2023 um 09.37 Uhr

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