Gendern: Kandidatin übermalt Wahlplakate

Lübeck: Archiv - 08.04.2023, 12.40 Uhr: Die Beschädigung von Wahlplakaten ist nicht ungewöhnlich. In Lübeck hat allerdings die Spitzenkandidatin der Unabhängigen die Plakate der eigenen Wählergemeinschaft übermalt. Der Grund: Auf den Plakaten wurde nicht gegendert.

Bild ergänzt Text

Die Unabhängigen haben aus Umweltschutzgründen auf kleinformatige Plakate verzichtet, sich jedoch für insgesamt 20 Großflächenplakate mit zwei verschiedenen Motiven entschieden. Abgebildet ist eine Gruppe von Menschen, darüber der Slogan „Gemeinsam mit den Menschen – nicht über ihre Köpfe.“

"Und genau das war das Problem", sagt Sophie Bachmann, Spitzenkandidatin der Unabhängigen, die ihren Wahlkreis in der Innenstadt hat. "Über die Köpfe der abgebildeten Personen hinweg entschieden der Vorsitzende Detlev Stolzenberg und sein Assistent Michael Matthies, wie die Plakate aussehen sollten. Die Fotos mailten sie in die Runde, Anmerkungen dazu wurden aber gekonnt ignoriert. Und über das Design, den Slogan, das Logo und den Text entschieden die beiden Männer dann gänzlich ohne Rücksprache. Die Kandidierenden und die beiden Mitarbeiterinnen im Büro der Fraktion sahen das Ergebnis dann erst, als die Plakate schon in der gesamten Stadt standen: Stolzenberg und Matthies hatten kurzerhand das Design und den Text vom letzten Jahr wiederverwendet."

"Auch wenn ich Recycling grundsätzlich befürworte, wurden hier Beteiligung, Transparenz und demokratische Teilhabe mit Füßen getreten", sagt Sophie Bachmann, "und das in einer Initiative, die genau mit diesen Werten wirbt. Streng genommen ist das Arbeitsverweigerung und ein Verrat an den eigenen Grundwerten."

Dass nicht alle mitgenommen wurden, mache aber nur einen Teil ihres Ärgers aus, so Bachmann: "Der Text auf den Plakaten ist schlecht. Die Grundwerte einer Partei oder Initiative können abgebildet werden, aber nur, wenn sie nach innen und außen auch tatsächlich gelebt werden. Das ist bei uns momentan augenscheinlich nicht der Fall. Ich möchte auf Wahlplakaten lieber lesen, was die jeweilige Gruppe in den nächsten fünf Jahren in Lübeck konkret bewegen will. Und schockiert war ich über die Formulierungen im generischen Maskulinum. Die Verwendung einer geschlechtsneutralen Sprache muss Grundlage jedes politischen Handelns sein, da sonst Frauen und Menschen, die sich der LGBTQIA+-Community zugehörig fühlen, sprachlich diskriminiert werden. Ich bin selbst bisexuell und fühle mich von dem Text unter meinem eigenen Bild diskriminiert. Das kann doch nicht sein."

Sie nahm kurzerhand Pinsel und Farbtopf in die Hand. "Wer eine Diskriminierung wahrnimmt, hat die Pflicht sofort zu handeln." Ihr wäre es lieber, die Plakate würden sofort wieder abgebaut. Wahlplakatierung sei ohnehin eine so große Belastung für die Umwelt, "dass wir sie uns in Zeiten des Klimawandels nicht leisten können. Konsequent wäre außerdem ein Rücktritt der verantwortlichen Personen."

Unabhängige wollen Plakate ändern

"Die Unabhängigen ändern den Text auf ihren Großflächenplakaten", teilt der Vorsitzende Detlev Stolzenberg auf Anfrage mit. Der untere Text zu Grundsätzen der Wählergemeinschaft solle durch Wahlziele der Unabhängigen ersetzt werden. Dazu würden in den nächsten Tagen neonfarbene Aufkleber gefertigt. Dies sei aufgrund der Anregung von Sophie Bachmann einvernehmlich verabredet.

Dazu berichtet Detlev Stolzenberg, der Vorsitzende der Wählergemeinschaft: "Die Anregung zur Änderung des Textes auf unseren Wahlplakaten haben wir aufgegriffen. In unserer Sitzung am vergangenen Mittwoch wurde einvernehmlich die Aufkleber-Aktion verabredet. Das macht unsere Wahlplakate noch einmal besser. Sophie Bachmann hat sich am Mittwoch ausdrücklich für die Berücksichtigung ihrer Hinweise bedankt."

Stolzenberg weiter: "Der alte Text auf den Wahlplakaten stammt aus dem vergangenen Jahr und wurde seinerzeit einvernehmlich gestaltet. Sophie Bachmann ist im Dezember als neues Mitglied in die Wählergemeinschaft eingetreten und bringt als Betroffene wichtige Aspekte zur persönlichen Ansprache jedes Einzelnen ein. Ich freue mich über dieses Engagement. Ihre Ideen greifen wir gerne auf. Allerdings ist es wichtig, bei der Weiterentwicklung der Wähler*innen-Initiative alle mitzunehmen und den Diskurs in demokratischen Prozessen einzubinden. Dann können gute Lösungen gefunden werden. Ich freue mich auf die Plakataufkleber, werden dadurch doch noch einmal unsere wichtigen politischen Zielsetzungen deutlich."

Diskriminierender Text: Die Spitzenkandidatin der Unabhängigen hat die eigenen Wahlplakate übermalt. Fotos: VG

Diskriminierender Text: Die Spitzenkandidatin der Unabhängigen hat die eigenen Wahlplakate übermalt. Fotos: VG


Text-Nummer: 157855   Autor: PM/VG   vom 08.04.2023 um 12.40 Uhr

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