Stadtwald: Experten schrieben offenen Brief

Lübeck: Archiv - 01.05.2023, 17.05 Uhr: Am 18. April berichteten wir, dass die Stadt sich vom Leiter des Stadtwaldes getrennt hat und Umweltschützer ein Änderung des Konzeptes befürchten. Jetzt haben Umweltschützer, Holzhändler und Experten, zum Beispiel der Leiter des Nationalparks Schwarzwald, einen offenen Brief an den Lübecker Bürgermeister geschrieben.

Wir veröffentlichen den Brief im Wortlaut:

(")Sehr geehrter Herr Bürgermeister Lindenau,

wir verfolgen mit Sorge, dass dem Leiter des Lübecker Stadtwaldes, Herrn Knut Sturm, Hindernisse bei der Umsetzung des von der Lübecker Bevölkerung und der Bürgerschaft breit getragenen Konzeptes der ökologischen Waldnutzung in den Weg gelegt werden. Zuletzt wurde ihm im Februar 2023 die fristlose Kündigung ausgesprochen. Für die Gründe für diese drastische Maßnahme gab es bisher in der Öffentlichkeit keine ausreichenden Erklärungen. Die im Rahmen der Güteverhandlung vorgetragenen Gründe rechtfertigen wohl kaum eine fristlose Kündigung.

Wir als Wissenschaftler, Forstpraktiker, Vertreter von Umweltorganisationen und Vertreter der Holzindustrie arbeiten seit langer Zeit mit Herrn Sturm erfolgreich und vertrauensvoll zusammen. Herr Sturm gilt in Fragen der Waldökologie, des Waldmanagements und der Holzvermarktung als ausgewiesener Experte. Er gründet seine Arbeit nicht nur auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern steht auch als Person zusammen mit seinem Team für die Stärkung der Waldflächen und ihrer zukunftssicheren Bewirtschaftung. Seine betriebswirtschaftlichen Erfolge geben der Hansestadt Lübeck zudem keinen Grund zur Sorge, mit diesem gut durchdachten Konzept zur Schonung des Waldes finanzielle Risiken einzugehen. Im Gegenteil: Die Bilanzen der vergangenen Jahre beweisen einmal mehr, dass ein ressourcenschonender Umgang mit einem naturnahen Wald auch stabile Erträge erwirtschaftet. Außerdem zeigen die bisherigen Ergebnisse des wissenschaftlichen Monitorings zahlreiche ökologische Erfolge.

Wir beobachten deshalb die Entwicklung des Lübecker Stadtwaldes in den vergangenen 30 Jahren mit großem Interesse. Durch die langjährige Zusammenarbeit der Leiter Dr. Lutz Fähser und Knut Sturm ist der Stadtwald zu einem beispielgebenden naturnahen Waldökosystem geworden. Überall in Europa und darüber hinaus wird dieses Lübecker Pioniermodell aufmerksam verfolgt. Es beweist den Erfolg integrativer ökologischer Waldbewirtschaftung, wenn wir andere Experten überzeugen wollen. Die Bürger von Lübeck sind stolz auf ihren Wald. Lübeck erhielt dafür 1997 das Naturland- und 1998 das FSC-Zertifikat sowie zahlreiche Auszeichnungen oder Nominierungen für wichtige Umweltpreise. Für Umweltorganisationen wie Greenpeace, Robin Wood, BUND und WWF wurde das Konzept auch international zum „best practice“-Beispiel.

In Zeiten der Klimaveränderungen, verbunden mit der wachsenden Bedrohung unserer Wälder durch Trockenheit, Schädlinge und Monokulturen, überzeugt die Arbeit von Knut Sturm vor allem an der Schnittstelle zwischen Praxis und Wissenschaft. Er hat durch Vorträge und Veröffentlichungen das Bewusstsein in der Bevölkerung für den Schutz der Wälder vertieft. Seine Erkenntnisse über integrative Waldbewirtschaftung inmitten der Klima- und Naturkrise haben Praktikern in der Forstwirtschaft wichtige Impulse gegeben, wenn es um neue Wege zur Rettung unserer Waldbestände überall in Europa geht.

Wir fordern Sie daher auf, Herrn Sturm die Rückkehr an seinen Arbeitsplatz zu ermöglichen. Er hätte damit auch die Möglichkeit, seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin sorgsam und gründlich einzuarbeiten. Nur so kann gewährleistet werden, dass die erreichten Erfolge sowohl für die Bürger der Stadt Lübeck als auch für Wälder weit über die Grenzen Lübecks hinaus sichergestellt werden.

Auch bitten wir Sie darum, umgehend Sorge dafür zu tragen, dass der Ruf des Lübecker Stadtwalds und der von Herrn Sturm nicht weiter beschädigt werden.

Peter Wohlleben, Buch-Autor zum Thema „Wald“, Gründer der Waldakademie und Förster

Prof. Dr. Dr. h.c. Pierre L. Ibisch, Professor für Naturschutz, Direktor des „Centre for Econics and Ecosystem Management“, Ko-Direktor des „Biosphere Reserves Institute“ der Hochschule für nachhaltige Entwicklung, Eberswalde, Ehrendoktor der Nationalen Forstuniversität der Ukraine, Lviv

Pamela Scholz, Geschäftsführerin der Naturwald-Akademie in Berlin, Lübeck, Hamburg

Martin Kaiser, Förster, Geschäftsführer Greenpeace Deutschland, Hamburg

Viktor Säfve, Ökosystemmanager im nonprofit Bereich, früher Wald-Campaigner Greenpeace und Taiga Rescue Network, Mitbegründer von Protect the Forest, Schweden

Martin Jentzen, Forst-Ingenieur und Mitbegründer der Firma Silvaskog, Inhaber einer Consulting und Beratungsfirma für Management-Pläne nach dem Lübecker Modell in Schweden

Matthias Braun, Geschäftsführer beim Landschaftspflege-Verein Dummersdorfer Ufer, Lübeck

Dr. Christoph Thies, ehemaliger Wald-Campaigner bei Greenpeace Deutschland und International, Mitgründer des Lübecker Modells, Hamburg.
Dr. Thomas Waldenspuhl, Leiter des Nationalpark Schwarzwald

Andreas Koch, Fa. Mehling und Wiesmann, Sägewerk-Holzgroßhandlung-Furnierwerk, Lohr am Main

Heiner Wehmeyer, Fa. Heinrich Wehmeyer, Westf. Holzkontor, Münster

Silke Mählenhoff, Bündnis 90 DIE GRÜNEN Lübeck, Fraktionsvorsitzende

Kornelia Mrowitzky, Kreistagsabgeordnete Herzogtum Lauenburg – waldpolitische Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Jens Schröder, Wissenschaftsjournalist, ehemaliger Chefredakteur GEO Magazin, Hamburg

Fridays for Future, Lübeck

Bernhard Hub, BUND, Landesvorstand Schleswig-Holstein, Waldexperte, Ratzeburg(")

Der Personal-Streit um den Lübecker Stadtwald beschäftigt zahlreiche Experten. Foto: JW/Archiv

Der Personal-Streit um den Lübecker Stadtwald beschäftigt zahlreiche Experten. Foto: JW/Archiv


Text-Nummer: 158314   Autor: red.   vom 01.05.2023 um 17.05 Uhr

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