Große Verdi-Dramatik im Großen Haus

Lübeck: Archiv - 13.05.2023, 16.38 Uhr: Zuletzt vor 55 Spielzeiten hat es „Simone Boccanegra“ in Lübeck gegeben. Nun kommt Giuseppe Verdis großangelegte Oper wieder ins Große Haus – zwar ohne das Simon-“e“, dafür musikalisch grandios und mit einer szenischen Wucht, die das Premierenpublikum mitriss. Den größten Anteil am Erfolg haben ohne einen Zweifel Erster Kapellmeister Takahiro Nagasaki und das Philharmonische Orchester, die die Partitur zum Blühen und Glühen bringen.

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Was im 14. Jahrhundert in Genua angesiedelt ist, diese Handlung um Macht und Intrigen, um das Finden von Vater und Tochter sowie fast vergebliche Liebe, das haben Regisseurin Pamela Recinella und Ausstatter Jason Southgate in eine dunkle bedrohliche Kulisse (mit reibungslosen Szenenwechseln) gestellt. Die hellt sich nur auf in den beiden Akten, wenn im Dogenpalast die Gemüter der Massen aufeinanderprallen. Ansonsten ist es ein Kammerspiel der anscheinend vielen Verlorenen. Der augenfälligste Kunstgriff gelingt Recinella in den beiden Szenen im Dogenpalast: In der ersten toben die zänkischen Räte durcheinander gleich apokalyptischen Figuren des Hieronymus Bosch, in der zweiten ist das Volk familiär milde gestimmt – von Southgate hier phantastisch und dort familiär gewandet.

Die Premiere schien unter einem ungünstigen Stern zu stehen: Gerald Quinn in der Titelrolle hatte seit Tagen mit einem Infekt gekämpft, Runi Brattaberg (sein Gegenspieler Paolo Alberti) sich am Vormittag indisponiert gemeldet. Mit Almas Svilpa von der Aalto-Oper Essen, der sich am Mittag ins Auto setzte und gerade rechtzeitig für erste Einweisungen eintraf, war ein Baß gefunden worden, der seinen Part souverän beherrschte. Quinn wiederum überzeugte durch seine Professionalität, mit der er seinen warmen Baßbariton über die Untiefen führte, selten zeigten sich Grenzen wie etwa am zurückhaltenden Agieren, wodurch das Finale sehr statisch wurde und so etwas an Wucht verlor.

Formidabel seine Gegenspieler. Als Paolo Albiani intrigriert Jacob Scharfman vehement mit der Eleganz seines Baritons. Und Yonki Baek als junger Liebender Gabriele Adorno hat zwar Schwierigkeiten mit der Attacke in tieferer Lage, die Belcanto-Höhen aber sind so weich und schwelgend, dass er Szenenapplaus erhielt. Der galt ebenfalls Flurina Stücki, die in der berühmten Arie „Come in quest'ora bruna“ den Höhenflug antritt und auch spielerisch das Hoffen, Lieben und Bangen in dieser Figur zum Ausdruck bringt. Changjun Lee als Offizier Pietro macht mit klarem Bass auf sich aufmerksam, Noah Schaul (Hauptmann) und Simone Tschöke (Magd) bleiben nur wenige Momente.

Und dann sind da der Chor- und Extrachor, den Jan-Michael Krüger bestens synchonisiert und zu einer Einheit geformt hat – und den Pamela Recinella erst grotesk hampeln und dann zu naturverbundener Einheit werden läßt: Zwei starke Kontrapunkte zur teils finsteren Dramatik dieser „Macht des Schicksals“-Version, mit der Verdi aus der Nummern-Oper in die Periode trat, in der das Melodische durchgehend charakterisiert.

Das bringt Takahiro Nagasaki vom fahlen Auftakt über Tragik in Zeitlupe bis zu allen Emotionen, ob tieftraurig oder himmelstürmend, in jeder Sekunde zum Ausdruck. Das ist Verdis Musik mit ihrer Italianitá in Reinkultur. Und die Philharmoniker sind feinstabgestimmt wie es besser nicht sein kann. Man horche hinein in diese Feinstabgestimmtheit von Blechbläsern und Streichern, in die sicheren Floskeln der Holzbläser – und man spürt, daß man dem „Idealklang“ auf den Spuren ist. In Verbindung mit der Bühne steht dahinter auch die Qualität der Studienleitung von Romely Pfund.

Dem Team Recinella, Southgate und Nagasaki sollte Lübecks Theater bald eine neue Aufgabe stellen.

Die Inszenierung feierte am Freitagabend Premiere. Fotos: Olaf Malzahn

Die Inszenierung feierte am Freitagabend Premiere. Fotos: Olaf Malzahn


Text-Nummer: 158650   Autor: Güz.   vom 13.05.2023 um 16.38 Uhr

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