Neue Forschung zu Tempoangaben bei Beethoven

Lübeck - Innenstadt: Archiv - 31.05.2023, 14.30 Uhr: „Manchester Beethoven Studies“ heißt eine neue Publikation der Universität Manchester, an der auch Marten Noorduin, Musikwissenschaftler an der Musikhochschule Lübeck (MHL), mitgearbeitet hat. In seiner Forschung legt er dar, warum Beethovens Werke in unseren Konzertsälen oft viel zu langsam aufgeführt werden.

Die neue Publikation „Manchester Beethoven Studies“ trägt in zehn Kapiteln Forschungsergebnisse zum Leben und Schaffen des berühmten Komponisten Ludwig van Beethoven (1770-1827) zusammen. Das Kapitel des Musikwissenschaftlers Dr. Marten Noorduin, seit 2022 an der MHL und als Hauptforscher des DFG-Projekts über transatlantische Beziehungen tätig, ist dem immer wieder diskutierten Tempo in Beethovens Spätwerk gewidmet.

Dass seine Kompositionen im richtigen Tempo gespielt werden, sah Beethoven als entscheidend an für ihren Erfolg: Er war einer der ersten Komponisten, die mit Hilfe des 1815 erfundenen Metronoms exakte Geschwindigkeiten für seine Werke notierten. In Beethovens eigenen Verweisen finden sich regelmäßig sehr hohe Tempi auch für die umstrittenen Adagio-Sätze − er hinterließ jedoch nicht für alle seine Werke Notizen dieser Art. Aktuelle Aufführungen des Beethovenschen Spätwerks beziehen sich deshalb überwiegend auf Tempoangaben, die Beethovens Schüler Carl Czerny und Ignaz Moscheles gemacht haben. Sie publizierten Beethovens Werke nach seinem Tod in hoher Auflage mit editorischen Metronom-Angaben. In den Adagio-Sätzen des Spätwerks vermerkten Czerny und Moscheles jene langsamen Tempi, die wir heute von CD-Aufnahmen und aus den Konzertsälen kennen.

„Die Interpretation von Beethovens Werken ist Thema vieler Studien, die in den vergangenen Jahren publiziert wurden und zur Analyse mathematische Modelle und so genannte ‚Big Data‘ nutzten“, erläutert Marten Noorduin: „Diese Studien gingen das Problem häufig von der falschen Seite an, sie zogen heutige Interpretation heran, um vergangene Praktik zu erklären“. Noorduin arbeitet mit einem anderen Ansatz, den er „Small Data“ nennt: Er untersucht, wie Beethovens Spätwerk im 19. Jahrhundert rezipiert wurde, und zeigt auf, wie und warum sich die Aufführung der langsamen Sätze in Beethovens Spätwerk in den letzten 200 Jahren radikal verändert hat. Noorduins These ist, dass nach Beethovens Tod im Jahr 1827 die langsamen Sätze in seinen späten Werken zunehmend mit seiner Taubheit in Zusammenhang gebracht und die Aufführungspraxis dadurch nachhaltig beeinflusst wurde.

Marten Noorduin arbeitete für seine Forschung unter anderem mit der Cellistin Kathrin Sutor (Universität Potsdam) und dem Pianisten Lucas Blondeel (Universität der Künste Berlin) zusammen, die auf der Grundlage von Noorduins Forschung neue Tonaufnahmen machten. „Unser Eindruck ist, dass die hohen Tempi in der heutigen Konzertumgebung sehr gut funktionieren und beim Publikum gut ankommen“, sagt Noorduin zum Hörerlebnis, von dem man sich unter folgendem Link verschaffen kann: www.manchesterhive.com.

Informationen zu den „Manchester Beethoven Studies“ sind erhältlich unter manchesteruniversitypress.co.uk.

Bio Dr. Marten Noorduin
Dr. Marten Noorduin ist Musikwissenschaftler und erforscht und lehrt an der MHL Musik verschiedenster Epochen mit Schwerpunkt auf der Musik seit Beethoven. Er studierte Klavier am Konservatorium in Tilburg und Liberal Arts and Sciences an der Utrecht University in den Niederlanden, bevor er für ein Postgraduiertenstudium an der University of Manchester nach Großbritannien ging. Er promovierte mit einer Arbeit über Beethovens Tempoangaben und war danach von 2017 bis 2020 Forschungsstipendiat an der University of Oxford, wo er die Aufführungspraktiken im neunzehnten Jahrhundert erforschte. Nach einem Aufenthalt am Staatlichen Institut für Musikforschung in Berlin für ein Forschungsprojekt zu Meyerbeers Hofkonzerten ist er nun seit April 2022 an der MHL als Forscher tätig im DFG-Projekt "'You play exactly as if you came from America' – Transatlantische Beziehungen und anti-amerikanische Vorbehalte im Musikleben des Deutschen Kaiserreichs und der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 1880-1915".

„Manchester Beethoven Studies“ heißt eine neue Publikation, an der auch Marten Noorduin mitgearbeitet hat. Foto: MHL

„Manchester Beethoven Studies“ heißt eine neue Publikation, an der auch Marten Noorduin mitgearbeitet hat. Foto: MHL


Text-Nummer: 159003   Autor: MHL/red.   vom 31.05.2023 um 14.30 Uhr

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