Die Autogramme der Überlebenden

Lübeck - Travemünde: Archiv - 17.07.2023, 16.31 Uhr: Es war der 09.01.1958, als sich die 14-jährige Lübeckerin Evelyn mit einer Freundin auf den Weg ins Rathaus machte. Im Gepäck ihr Tagebuch, um Autogramme zu sammeln. Vielleicht hatte auch die Aussicht, ein paar stramme Matrosen zu sehen, ein wenig motiviert. Jedenfalls ging es um die Verhandlung zum Untergang der „Pamir“. Die Aktion der Teenies, oder „Backfische“, wie man damals sagte, war erfolgreich. Jetzt tauchte das Buch mit den Unterschriften wieder auf. Auf der Viermastbark „Passat".

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Hatten ein besonderes Zeitdokument dabei: Evelyn und Hindol Ghatak, hier am Ruder der Travemünder Viermastbark „Passat“.

Längst ist Evelyn Ghatak in Toledo (Ohio) zuhause, doch alle paar Jahre schaut sie in der alten Heimat Lübeck vorbei. Mit Ehemann Hindol, ihrem Neffen und ihrem Tagebuch im Gepäck besuchte sie nun am Montag die Travemünder Viermastbark „Passat“. Empfangen wurden sie von Hartmut Haase, der den weitgereisten Besuchern in einer Sonderführung den Travemünder Windjammer zeigte. Sorgfältig in Plastik eingeschlagen, damit nichts passiert, wurde in der Kapitänsmesse das 65 Jahre alte Tagebuch ausgepackt. Deutlich zu lesen waren da die Unterschriften von Klaus Fredrichs, Karl Otto Dummer, Karl Heinz Kraaz und Heinz Georg Wirth, die nach der Pamir-Katastrophe 54 Stunden in einem Rettungsboot überlebten, ehe sie von einem US-Frachter gerettet wurden. Noch weitere Autogramme finden sich auf der Seite, eines wohl von einer französischen TV-Reporterin. Sie hätten genommen „was wir kriegen konnten“, erinnert sich Evelyn Ghatak.

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Autogramme im Tagebuch.

Führung über die Passat
Der Travemünder Windjammer „Passat“ ist durchaus gut gewählt für den Besuch, ist die Viermastbark doch das Schwesterschiff der 1957 im Hurrikan gesunkenen „Pamir“. Die Passat ist damals selbst nur knapp einem Untergang entkommen, heute liegt sie sicher im Priwallhafen vor der „Beach Bay“ vor Anker. „Wir sind stolz in Lübeck, dass wir hier die Passat haben“, sagte Hartmut Haase auf seiner Tour. Die Stadt hatte das Schiff einst der Hansestadt Hamburg abgekauft, 1964 kam es nach Travemünde. „Die Hamburger wussten nicht, was damit anzufangen ist“, erzählt Hartmut Haase. Später hätten sie sich dann geärgert. „Und haben sich dann diesen Schrotthaufen aus New York, die Peking, geholt“.

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Von Hartmut Haase (links) wurde die Gruppe fachkundig über die „Passat“ geführt.

Von Lübeck nach Kanada nach Amerika
Wie die junge Lübeckerin Evelyn nach Amerika kam, ist in einer Ausgabe des Travemünder Monatsmagazins „Möwenpost“ aus dem Jahre 2004 zu lesen. Demnach studierte ihr späterer Ehemann Hindol, der aus Kalkutta stammt, in den 1960er Jahren in Lübeck Ingenieurswesen. „Erst hat er meine Mutter gefragt, dann hat er mich schriftlich zum Tanz ins Travemünder Kurhaus eingeladen, seitdem sind wir zusammen", zitiert der Artikel des Travemünder Magazins. Das Paar zog erst nach Kanada, später in die USA.

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Vater im Passat Chor bekannt
Die „Flying P-Liner“, wie die Windjammer der Hamburger Reederei F. Laeisz genannt werden, ziehen sich an noch einer weiteren Stelle durch die Familiengeschichte der Besucher. Der Name von Evelyn Ghataks Vater Hans Meyburg ist bis heute im „Passat-Chor“, der sich seit Jahrzehnten für den Erhalt des gleichnamigen Schiffes einsetzt, bekannt. In den 1980er Jahren fertigte er in alter Schrift regelrechte Schmuck-Urkunden der Lieder wie „Rolling Home“ und „Lady Passat“. Nebst Auftrittsdatum und Namen der Beteiligten. Einige davon waren immer noch in den Archivschränken des Chores erhalten.

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Als besondere Überraschung wurden sie der Tochter nun in einem emotionalen Moment überreicht. Evelyn Ghatak zeigte sich überrascht, dass sie die Originale als Erinnerung an ihren Vater bekommen sollte. „Du bist die Tochter und da gehört das ja wohl auch hin, zur Tochter“, meinte Hartmut Haase dazu nur.

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Aufenthalt in Travemünde
Das Ehepaar Ghatak wird sich noch einige Tage im Travemünder Atlantic Grand Hotel aufhalten. Man will noch den Kontakt zu einem alten Bekannten im Passat-Chor suchen. Und sie hatten sich auch einen Artikel aus HL-live.de ausgedruckt, bei dem es um ein WindArt-Kunstwerk des Künstlers Wolfgang Meyburg geht, Evelyns Geburtsname. Ob man vielleicht verwandt ist? Möglicherweise ist die Geschichte noch nicht zu Ende geschrieben …

Während der Pamir-Verhandlung im Rathaus holte sich die damals 14-jährige Lübeckerin Evelyn Autogramme der Überlebenden. 65 Jahre später zeigte sie das sorgsam gehütete Zeitdokument bei einem Besuch auf der „Passat“. Fotos: Karl Erhard Vögele

Während der Pamir-Verhandlung im Rathaus holte sich die damals 14-jährige Lübeckerin Evelyn Autogramme der Überlebenden. 65 Jahre später zeigte sie das sorgsam gehütete Zeitdokument bei einem Besuch auf der „Passat“. Fotos: Karl Erhard Vögele


Text-Nummer: 160074   Autor: Helge Normann   vom 17.07.2023 um 16.31 Uhr

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