Eine Gemeinschaft der Heiligen

Lübeck: Archiv - 26.08.2023, 08.50 Uhr: Pastorin i.R. Ellen Naß stellt das christliche Glaubensbekenntnis in den Mittelpunkt ihrer Gedanken zum Wochenende. Ist die Kirche angesichts der Missbrauchsfälle wirklich eine "Gemeinschaft der Heiligen"?

„Ich glaube an …. die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen“; so bekennen es Menschen fast jeden Sonntag in fast jedem Gottesdienst. In katholischen Gottesdiensten wird die „christliche Kirche“ durch „katholische Kirche“ ersetzt, weil die katholische Kirche als die einzig wahre christliche Kirche ansieht, aber gemeint ist das Gleiche.

Viele Menschen heute haben ein völlig anderes Bild von der Kirche. Im besten Fall halten sie sie für vollkommen überflüssig. „Ich kann auch ohne Kirche an Gott glauben“, so wird dann gesagt. Im schlimmsten Fall halten sie Kirche für eine Schlangengrube aus Lügen, Betrug und Kindesmissbrauch. Es ist ja auch furchtbar, was in den letzten Jahren alles bekannt wurde, und das Leid jedes einzelnen Kindes geht mir zu Herzen. Ich selbst habe am Rand wenige Verdachtsfälle mitbekommen, alle Täter wurden ganz schnell entfernt, aber auch bei uns in der Nordkirche ist ja jahrelanger Missbrauch geschehen. Von Heiligen erwartet man anderes Verhalten, eben besser, edler, heiliger.

Dabei hat das Wort „heilig“ in seiner ursprünglichen Bedeutung nichts mit dem menschlichen Verhalten zu tun. Heilig waren Dinge oder Menschen, die von Gott abgesondert wurden. Im Tempel gab es einen Ort, der nur ein Mal im Jahr von einem Priester betreten werden durfte, der war heilig. Fleisch, das für Gott verbrannt wurde, war heilig. „Heilig“ hatte nichts mit moralisch einwandfreiem Verhalten zu tun. Wenn wir etwas behalten, wegen schöner Erinnerungen zum Beispiel, es schützen, dann ist es uns heilig, in genau dieser Bedeutung.

So ist die heilige christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, also erst einmal eine Gemeinschaft von Menschen, die von Gott abgesondert wurden. In den Anfängen des christlichen Glaubens, als wir noch eine kleine und verfolgte Minderheit waren, war das sicherlich tröstlich und stützend. Man wusste, man war etwas Besonderes, von Gott auserwählt und beschützt.

Das ist jetzt natürlich keine Entschuldigung dafür, Verbrechen wie Missbrauch zu begehen oder sich auch anders böse zu verhalten. Jesus und die ersten Christen und Christinnen wären entsetzt gewesen, wenn sie so etwas in ihren Gemeinden erlebt hätten.

Trotzdem empfinde ich es als Entlastung, dass meine Heiligkeit nicht von mir abhängig ist sondern von Gott. Das ist keine Entschuldigung dafür, nun zu tun und zu lassen, wonach mir gerade ist. Aber trotz aller Bemühungen – seien wir ehrlich – tun wir manchmal Dinge, die wir nicht hätten tun sollen, die unangenehm wären, wenn sie ans Licht kämen. So erkläre ich mir auch die jahrzehntelange Vertuschung der Missbrauchsskandalen – so lange niemand davon wusste, galten die Täter und Täterinnen als fromm und heilig – erst durch das Bekanntwerden kam die Entrüstung, die Enttarnung. Wenn Gott mich heilig macht, dann ist es gleichgültig, ob jemand davon weiß, denn ER weiß es auf alles Fälle.

Wenn Gott mich heilig macht und nicht ich mich selbst, dann sollte es einfacher sein, dazu zu stehen, was ich getan habe, um Vergebung zu bitten und damit aufzuhören. Denn ich bleibe ja heilig, es hängt nicht von mir ab, sondern von Gott. In solch einer Gemeinschaft kann ich dann auch getragen werden, und solch eine Gemeinschaft kann mich – und meine eventuellen Opfer - davor beschützen, wieder rückfällig zu werden. Deshalb ist es auch wichtig, dass es wirklich eine Gemeinschaft der Heiligen ist.

Die Gemeinschaft der Heiligen, die Kirche oder besser: die Kirchen – sind in Verruf geraten. Sie wollten heilig erscheinen statt heilig zu sein. An das alles muss ich bei diesem Satz denken, wenn wir das Glaubensbekenntnis im Gottesdienst sprechen. Und ich denke daran, dass ich mich mit allen Kräften dafür einsetzen will, dass wir wirklich werden: eine heilige christliche Kirche, eine Gemeinschaft der Heiligen.

Pastor i.R. Ellen Naß erläutert die Bedeutung des Wortes heilig.

Pastor i.R. Ellen Naß erläutert die Bedeutung des Wortes heilig.


Text-Nummer: 160788   Autor: red.   vom 26.08.2023 um 08.50 Uhr

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