Bestes Ballett-Erlebnis: Cinderella

Lübeck: Archiv - 25.09.2023, 18.52 Uhr: Das Ballett der Oper Kiel, die Compagnie von Yaroslav Ivanenko, gastiert wieder im Großen Haus – diesmal mit Sergej Prokofiews „Cinderella“. Der am Sonntag vom Publikum begeistert aufgenommenen Premiere folgen noch sieben Aufführungen, die sich die Lübecker nicht entgehen lassen sollten: Was hier an traumhaft schönem Spitzen-Tanz und akrobatischer Komik zu erleben ist, sucht hierzulande seinesgleichen.

Ivanenko hat sein Cinderella-Aschenbrödel im Zirkusmilieu angesiedelt – ein exemplarischer Einfall, um das Märchenhafte mit Humor zu überziehen und ihm ein Tempo einzugeben, das Prokofiews mitreißende Musik in eine Bildersprache umsetzt, die einmal mehr Ivanenkos Handschrift zeigen: Diesmal sind es weniger die Sprunge als die Bewegungs-Kapriolen, in die vor allem ein Clowns-Trio involviert ist – das auch im dritten Bild dann Cinderella und ihrem Prinzen seine Reverenz erweist.

Wie die Titelfigur als Reinigungskraft-Mauerblümchen sich erst in die Zirkuswelt träumt, dann von ihr mitgerissen wird und schließlich den Mann ihrer Träume, sprich: den Prinzen, findet – das ist überwiegend von einem die Partitur rasant umsetzenden Tempo. Gulzira Zhantemir gibt der Cinderella alle Zartheit, ihr finaler Pas de deux mit dem Prinzen (männlich, aber kein Kraftptrotz: Vitalii Netrunenko) ist elegantes Gleiten, Heben und Springen wie von Zauberhand.

Cinderellas beschützende Begleiter sind die Clowns: Henri Frey, Jean Marc Cordero und Didar Sarsembayev hat Ivanenko eine Fülle von Bocksprüngen, Überschlägen, Hantelhampeln eingegeben, dass ihre Turbulenz – solo und um Pas de trois – die Bühne ins Chaos zu stürzen droht und dem Publikum höchstes Vergnügen bereitet. Auch ein Hula Hoop-Artist (Denis Adutwum), der an der Rampe die Reifen um die Gliedmaßen tanzen lässt, fordert Szenenbeifall heraus.

Es macht staunen, wie Ivanenko sein großes Ensemble – die vielen Solisten, das große Corps und mancherlei Statisten – bewegt, es die Bühne füllen lässt, um diese dann wieder ganz dem Individuum zu überlassen. Mit Lars Peter hat er aber auch einen Gestalter, der mit wenigen Mitteln Orte (Zirkusarena) und Atmosphäre (Kronleuchter) schafft – ebenso wie die Kostüme von Angelo Alberto und die Lichtgestaltung von Matthias Hillebrandt und Sebastian Marx den Gesamteindruck mitbestimmen.

Alles ist punktgenau auf die Musik konzentriert: Prokofiew wusste ums (große) Instrumentarium, auf dessen effektvollen Einsatz für den Tanz und den Rhythmus in allen Facetten: Der langsame Walzer etwa hat Dmitri Schostakowitsch so beeindruckt, dass er seinen später noch schräger komponierte. Die Partitur ist höchst anspruchsvoll und Erster Kapellmeister Takahiro Nagasaki sich dessen bewusst. Auch er brachte vollen Einsatz, die Philharmoniker ebenfalls, aber nicht immer mit der nötigen Präzision. Das wird sich nach diesem Aufgalopp der kurzen Bühnen-Orchester-Verständigung alsbald geben. Denn dieses Tanzgeschehen mit dieser Musik ist ein Erlebnis. Das Premierenpublikum jubelte lange.

Das Ensemble bekam bei der Premiere in Lübeck viel Beifall. Foto: Olaf Struck

Das Ensemble bekam bei der Premiere in Lübeck viel Beifall. Foto: Olaf Struck


Text-Nummer: 161427   Autor: Güz.   vom 25.09.2023 um 18.52 Uhr

Text teilen: auf facebook +++ auf X (Twitter) +++ über WhatsApp

Text ausdrucken. +++  Text ohne Bilder ausdrucken.


Please enable / Bitte aktiviere JavaScript!
Veuillez activer / Por favor activa el Javascript![ ? ]