Grandios: Gounods Oper „Faust“

Lübeck: Archiv - 18.11.2023, 16.31 Uhr: Charles Gounods „Faust“, das französische Vorzeige-Drama lyrique von 1859, stand zuletzt vor zwei Jahrzehnten auf dem Lübecker Programm und hinterließ keine Spuren. Dagegen ist die neue Produktion – Regisseur: Kasper Wilton, Dirigent: Takahiro Nagasaki – ein Meilenstein: Am Ende der Premiere dankte das Publikum mit standing ovations für ein grandioses Opernerlebnis.

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Was macht die große Klasse dieses Abends aus, der die Chance hat, einmal wieder den „Faust“-Preis für die beste Opernaufführung des Jahres zu erringen? Da ist zum einen die Idee des erfahrenen Dänen Wilton, die Goethe-Klassik hinter sich zu lassen: Faust ist ein Denker von heute, der nicht von lärmenden Studiosi umgeben ist, sondern von kriegstrunkenen Soldaten. Und Mephisto ist kein quasi Außerirdischer, sondern ein General mit diabolischen Vollmachten. In der freien Deutung wandeln sich auch die Figuren des Valentin, des Siebel (hier als Siebelle eine Gretchen-Kopie), der Marthe und des Wagner. Allein Margarethe bleibt der unverrückbare Stellenwert der Frau, die zwischen alle Mühlsteine gerät.

Hierfür hat die erfahrene Ausstatterin Camilla Bjoernvad neben typgerechter Kleidung geometrisch klare Bühnenbilder mit wenigen Elementen entworfen, wobei sie ebenso sinnvoll wie sparsam die Hebebühne nutzt. Und oft im Blick ist die große Schiefertafel, auf der Mephisto immer wieder Faust vorhält: „Rien“ – all dein Streben ist vergeblich, letztlich bist du ein Nichts. Wenngleich Goethes „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“ stets als Hoffnung keimt...

Bei allem Realitätssinn, mit dem er das klassische Gedankendrama über die Opulenz der Grand Opéra in die Gegenwart holt, setzt Kasper Wilton die Kraft des Musiktheaters frei. Wobei Jan-Michael Krüger dem Chor den französischen Wohlklang samt Durchschlagskraft eingeimpft hat. Zum Gesamtkunstwerk trägt Ulla Beninghoven bei, die das Treiben der wüsten Soltadeska wuchtig und mit Zehenspitzengefühl (Karikatur des Faust-Walzers) choreographiert hat.

Mit Arthur Espiritu war lediglich ein Premierengast zum Hausensemble gestoßen – und löste in der Titelpartie wahren Jubel aus. Denn das Rollendebüt ist von spielerischer Präsenz und (auf baritonalem Fundament) vor allem von tenoraler Sicherheit mit Sprung in strahlendste Höhen, die großen Vorbildern nicht nachsteht. Dafür gibt es ebenfalls dieses Wort: Grandios. Wilton hat das Ensemble genau studiert, um es zu führen. So macht er Runi Brattaberg (Mephistopheles) zum jovialen Faust-Gegenspieler mit sicherem, aber ungefährlichem Bass und stellt ihm eine stumme Handlangerin zur Seite: Samantha Hoefer tänzelt quicklebendig all seine Perfidie.

Efmorfia Metaxaki hat sich in die Partie der Margarethe eingefühlt, gibt ihr vokale und auch darstellerische Reife. Als Siebelle bietet Laila Salome Fischer eine ergreifende Studie mit Sopran-Eindringlichkeit. Der mütterliche Mezzo von Edna Prochnik (Marthe) und der wohlgrundierte Bass von Changjun Lee (Wagner) kommen hinzu – und vor allem der Bariton von Jacob Scharfman: Sein Gebet des Valentin zählt zu den Sternminuten der Aufführung. All die Pluspunkte wären jedoch nichts ohne den Melodie-Versteher Takahiro Nagasaki und die Qualität der Lübecker Philharmoniker. Was Lübecks Erster Kapellmeister der Partitur an lyrischen Feinheiten und orgiastischem Wohlklang entlockt, zeigt sein Fingerspitzengefühl und ist so souverän wie mitreißend. Kein Wunder, dass bei seinem Erscheinen auf der Bühne das Premierenpublikum (Volles Haus!) noch ein Beifall-Phon zulegte. Fazit: Grand Opéra vom Besten – und nicht zu versäumen.

Arthur Espiritu als Faust und Rúni Brattaberg als Méphistophélès. Fotos: Jochen Quast

Arthur Espiritu als Faust und Rúni Brattaberg als Méphistophélès. Fotos: Jochen Quast


Text-Nummer: 162559   Autor: Güz.   vom 18.11.2023 um 16.31 Uhr

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