Kammermusik mit Walgesängen

Lübeck: Archiv - 25.11.2023, 18.55 Uhr: „...doch die Wale singen noch“ - viel aufregender, als der Titel orakelte, war dieser Abend in der MuK-Reihe „Neue Horizonte“: Kammermusik, vor allem neue, und von Bildern begleitete Ausführungen zum Klimawandel bannten im kleinen Saal der MuK ein erfreulich großes Publikum. Dabei hatten Worte und Musik ein selten hohes Niveau und selten so große Eindringlichkeit.

Den Musik- und Orchesterfreunden war es gelungen, vier exzellente Frauen zu gewinnen: die Kieler Polar- und Meeresforscherin Prof. Dr. Antje Boetius sowie das Trio Lauma Skride (Klavier), Angela Firkins (Flöte) und Tanja Tetzlaff (Violoncello) – letztere engagiert sich besonders intensiv für das Klima-Thema. Nach Claude Debussys, von Skride aufrüttelnd gestalteter Klavier-Impression „Le Cathédrale Engloutie“ – mit dem Foto einer im Stausee versunkenen Kirche – machte Prof. Boetius Mut: Sie zeigte in Fotos und Tabellen das durch die Erderwärmung drohende Chaos, bot jedoch Hoffnung am Beispiel der Wale: Sie, deren Population die Menschen fast vernichtet haben, sorgen für Leben, Sauerstoff und Kohlendioxyd-Speicherung in kaum beachtetem riesigem Ausmaß. Ihre neuerliche Vermehrung würde ihre eigentümlichen Laute zu einem optimistischen Gesang anschwellen lassen.

Deren unausgesprochene Frage „Warum hört uns keiner zu?“ unterfütterte Tanja Tetzlaff mit Esa Pekka Salonens wahnwitzigem „YTA3“ für Violoncello solo: Sie bot eine Intensität an tiefem Grummeln, flüsternden Flageoletts und verzweifelten Schreien, wie es fast alle im Saal auf dem sonoren Instrument kaum für möglich gehalten hatten. Dem stand an Eindringlichkeit „Vox Balaenae for three masked players“ (Die Stimmen der Walfische) von George Crumb nicht nach: Was er für hier die Besetzung Flöte, Cello und Klavier. geschrieben hat, erfordert höchstes Können – auch mit Verstärker-technischen Finessen –, um mit Donnern, Klagen, Zagen eine Echokammer des Weltalls entstehen zu lassen. Sie verklingt, jedoch nie disharmonisch, mit einem „Sea Nocturne (...for the end of the time)“. Wie intensiv Firkins, Tetzlaff und Skride diese irrwitzige Vielfalt boten, ließ dem Auditorium den Atem stocken.

„Noch sind Lösungen möglich“, hatte Boetius gesagt. Das zeigte musikalisch auch Haflidi Hargrimssons „Sea Nocturne“ op. 4 für Flöte und Violoncello auf, dessen flimmernde Virtuosität voller Schleiftöne und Staccati Firkins und Tetzlaff mit Verve erfassten. Zum Finale versprach Tetzlaff den Ausblick auf Harmonie – mit dem Rückblick auf Romantik: Carl Maria von Webers Trio für Flöte, Cello und Klavier op. 63 ist Melodie pur und ebenso Spiel- und Lebensfreude pur. Wie sich harmonisch und technisch souverän diese drei Virtuosinnen dabei vereinigten, welche Phrasierungskunst sie boten, das war die pure musikalische Freude. Der Beifall nach diesen erlebnisvollen zwei Stunden war groß.

Die eindringlichen Worte von Prof. Dr. Antje Boetius wurden musikalisch untermalt. Foto: Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen, A. Esken

Die eindringlichen Worte von Prof. Dr. Antje Boetius wurden musikalisch untermalt. Foto: Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen, A. Esken


Text-Nummer: 162705   Autor: Güz.   vom 25.11.2023 um 18.55 Uhr

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