Wahnsinns-Oper: „Elektra“ im Großen Haus

Lübeck: Archiv - 28.01.2024, 17.59 Uhr: Was für eine große Opernsaison in Lübeck! Nach Verdis „Simon Boccanegra“ und Gounods „Faust“ kommt nun mit „Elektra“ von Richard Strauss eine Produktion, die ein Top-Ereignis ist und sich mit großen Häusern messen kann: Regisseurin Brigitte Fassbender, das Ensemble mit Trine Moeller an der Spitze, GMD Stefan Vladar und die Lübecker Philharmoniker bieten Erstklassiges. Das Premierenpublikum feierte alle enthusiastisch.

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Diese „Tragödie in einem Aufzug“ (1908) übertrifft die voraufgegangene „Salome“ nicht so sehr in der Dramatik als in ihrer Orchesterkraft. Die Originalpartitur nennt 114 Instrumentalisten, die von Strauss autorisierte kleinere Besetzung immerhin noch 69. Und die bringen hier eine Wucht des Klangs, einen Sog mit einer Freude am Detail, die staunen und glücklich macht. Man kann nur den Hut ziehen vor der Qualität von GMD Vladars Dirigat, seiner Einfühlungsgabe und die der Philharmoniker: Streicher wie Bläser, bringen den Rausch, zumal die Hörner imponieren mit dem Sehnsuchtsmotiv, das Strauss wenig später zum Kennzeichen seines „Rosenkavaliers“ gemacht hat.

Das antike Drama aus Trojanischen Kriegs-Zeiten hat Librettist Hugo von Hofmanntsthal komprimiert. Er und Strauss brauchen nur 105 Minuten der Hochspannung, um das Bild und Klang werden zu lassen, was sich ereignet. Elektras Rache an todbringendem Familiengeschehen holt Brigitte Fassbender aus der Antike heraus, interpretiert Schuld und Sühne zeitlos. Hierfür hat Ausstatterin Bettina Munzer einen geometrisch strengen und doch nahbaren Ort entworfen, die Hauptfiguren unaufdringlich typisiert und die Mägde am Hof in klassenloses Grau gekleidet.

Es ist die Personenregie, die diese Aufführung so spannend macht. Und es sind die Sänger, deren Können mitreißt, mit drei Frauen an der Spitze. Zwei davon sind Gäste von großem Format. „Elektra“ lebt von der Titelpartie: Trine Moeller ist hier keine Rache-Furie, sondern eine von Gewissensbissen geplagte Suchende; sie steht durchgehend auf der Bühne und führt ihren Sopran aus kummervoller Ruhe immer wieder zu Spitzentönen voll Gefühl und Dramatik, dass es selbst den Opernkenner vom Sitz reißt – welch eine große Künstlerin! Ihre Schwester Chrysotemis findet eine Mitleidende in Lena Kutzner: anrührend, heller timbriert und gleichfalls tadellos in allen Registern. Den beiden Gästen steht Edna Prochnik aus dem Ensemble in keiner Note nach: Ihre Klytämnestra als selbstbezogene Mutter überzeugt in der Deklamation wie in der Tonschönheit ihres Mezzos.

Die Männer sind hier (fast) Statisten. Runi Brattaberg stattet den Orest mit balsamischem Bass aus. Wolfgang Schwaningers heller Tenor entspricht voll den Intentionen des Komponisten ebenso wie auch Noah Schaul, Changjun Lee und Laurence Kalaidjan in kleinen Rollen. Randerscheinungen bleiben neben Elvire Beekhuizen und Andreas Hutzel auch der Chor, während die aufgeregten Mägde imponieren: Angeführt von Andrea Stadel, sind Therese Fauser, Laila Saolme Fischer, Frederike Schulten und Natalia Willot ein temperamentvolles Quintett.

Schon das Eingangsbild mit ihnen läßt Brigitte Fassbenders klare Handschrift erkennen: Hier herrscht keine Antiken-Statuarik, sondern Leben. Es sind Frauen, wie Elektra und Chrysotemis und Klytämnestra, die hoffen, lieben und leiden. Das zeigt den genauen Blick dieser großer Künstlerin fürs Detail wie fürs Ganze auf den Brettern, die ihr sowie den Kunstsinnigen die Welt bedeuten.

Und davor, im Graben, spielen Lübecks Philharmoniker in der ersten Liga. Stefan Vladar beherrscht die große Partitur in jedem Takt, er spürt den Nuancen nach, läßt die Känge sich ballen und türmt die teils überbordenden Emotionen: Er gibt den Sängern Halt, sie gehen über einen dichten schmeichelnden Streicherteppich, werden geführt von der Erzählfreude der warmen Holzbläser und in die Emotionen katapultiert von auftrumpfenden Blechbläsern. Alle Mitwirkenden – voran Trine Moeller und GMD Stefan Vladar – machen diesen Abend außergewöhnlich und zum Ereignis, das vom Premierenpublikum spontan mit Standing Ovations und lange gefeiert wurde.

Trine Møller als Elektra und Lena Kutzner als Chrysothemis.Fotos: Jochen Quast

Trine Møller als Elektra und Lena Kutzner als Chrysothemis.Fotos: Jochen Quast


Text-Nummer: 163862   Autor: Güz.   vom 28.01.2024 um 17.59 Uhr

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