Nordkirche tagt in Travemünde

Lübeck - Travemünde: Archiv - 22.02.2024, 18.17 Uhr: Die Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) hat sich auf ihrer 20. Tagung am Donnerstag, 22. Februar 2024, in Lübeck-Travemünde ausführlich mit den Ergebnissen der Aufarbeitungsstudie „ForuM“ zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie beschäftigt und Schlussfolgerungen für die Nordkirche diskutiert.

In ihrem Eingangsstatement zur Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der ForuM-Studie zitierte Landesbischöfin und Vorsitzende der Kirchenleitung Kristina Kühnbaum-Schmidt die Heilige Schrift: „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild. Als Gottes Ebenbild schuf er ihn.“ Die Rede von der Gottesebenbildlichkeit fasse die entscheidenden theologischen Aussagen über den Menschen in einem Wort zusammen, so die Leitende Geistliche der Nordkirche. Gottesebenbildlichkeit sei dabei das biblische Würdeprädikat des Menschen. „Diese Würde wird fundamental verletzt, wenn Menschen körperliche oder seelische Gewalt angetan wird. Wo das geschieht, wird zugleich in eklatanter Weise eine fundamentale Überzeugung unseres christlichen Glaubens verraten, ja mit Füßen getreten und verleugnet“, erklärte Kristina Kühnbaum-Schmidt. „Es trifft uns alle, es trifft uns als Kirche deshalb ins Mark, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene genau das im Raum unserer Kirche erlebt haben - dass ihnen körperlich und seelisch schweres Leid zugefügt wurde, dass sie sexualisierte Gewalt und tiefes Unrecht erlitten haben, dass ihre Würde verletzt wurde.“

Für die aus den Ergebnissen der ForuM-Studie zu ziehenden Konsequenzen muss nach den Worten von Kristina Kühnbaum-Schmidt die Perspektive der Betroffenen im Mittelpunkt stehen. Grundlegend dafür sei die direkte Mitentscheidung von Vertreterinnen und Vertretern der Betroffenen im Beteiligungsforum der EKD. Sie betonte ausdrücklich: „Daher werden die Beschlüsse des EKD-Beteiligungsforums und die Ergebnisse der Beratungen dort auch für uns entscheidend und handlungsleitend sein.“

In der Kirche sei ein Kulturwandel nötig, um sexualisierte Gewalt begünstigenden Strukturen entgegenzuwirken und zu verändern, erklärte die Landesbischöfin. Dazu sei die Mitarbeit aller gefragt.

„Weder durch die Institution im Blick auf unsere Strukturen noch auf lokaler Ebene in konkreten Situationen wurde verhindert, dass Schutz- und Vertrauensräume wie Pfarrhäuser und kirchliche Räume zu Orten werden konnten, in denen Kinder, Jugendliche und Erwachsene sexualisierte Gewalt erlitten haben. Fehlende Distanz innerhalb der Institution und unter Mitarbeitenden haben dazu geführt, dass Tätern oftmals mehr Glauben geschenkt wurde als Betroffenen. Damit müssen wir uns noch konsequenter, ehrlich und schonungslos auseinandersetzen“, forderte Kristina Kühnbaum-Schmidt.

„Eine besondere Aufmerksamkeit lege ich dabei auf den folgenden Punkt: Bei der Intervention in Fällen sexualisierter Gewalt darf es die in der ForuM-Studie benannte und kritisierte Verantwortungsdiffusion nicht geben“, betonte die Landesbischöfin. Beratungsstäbe zu einem möglichen Fall sexualisierter Gewalt sollten künftig über die dabei bekannten Betroffenen hinaus regelhaft die Möglichkeit weiterer betroffener Personen in Betracht ziehen.

Um die Erkenntnisse der ForuM-Studie sehr zeitnah konkret in die Arbeit einfließen zu lassen, habe die Kirchenleitung entschieden, die bereits initiierte Evaluation des Präventionsgesetzes für dieses Jahr auszusetzen, so die Landesbischöfin. Dadurch solle Zeit und Gelegenheit sein, die Auseinandersetzung mit der Studie und die Ergebnisse der Diskussionen und Prozesse zu berücksichtigen. „Entscheidende Impulse sollen auch hier von Betroffenen kommen - das ist mir persönlich wie als Vorsitzender der Kirchenleitung grundlegend wichtig“, betonte Kristina Kühnbaum-Schmidt. „Für ebenso wichtig halte ich dabei die Nutzung externer Expertise und Perspektiven. Das dann überarbeitete Präventionsgesetz soll ab 2025 die rechtliche Grundlage für unsere Haltung und unser Handeln in der Prävention und Intervention, bei der Aufarbeitung und Anerkennung bilden.“ Kristina Kühnbaum-Schmidt würdigte das Wirken all derjenigen, die sich von sexualisierter Gewalt Betroffenen zuwenden und sich in ihrer tagtäglichen Arbeit in Präventionsstellen aber auch in Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen dafür einsetzen, dass Kirche ein sicherer Ort ist.

Beschämt über das Leid von Menschen, die sexuelle Gewalt in der Kirche erfahren haben, hatte sich in ihrem Eröffnungsstatement auch die Präses der Landessynode Ulrike Hillmann gezeigt. „Als Vorsitzende der Anerkennungskommission unserer Kirche sehe ich Gesichter und höre Geschichten, die hinter den in der Studie genannten Zahlen stecken. Geschichten von Demütigungen, von körperlichen Verletzungen und verwundeten Seelen, von Lebenswegen, für die in unserer Kirche die Weichen falsch gestellt wurden, tragische Geschichten, jede einzelne ein Zuviel und jede einzelne schmerzt mich sehr“, so Ulrike Hillmann. Man könne nichts wieder gutmachen und eine auch noch so ernst gemeinte Entschuldigung sei nur ein Wort, ein Anfang, erklärte die Präses. „Jetzt geht es darum, mit den Betroffenen auf Augenhöhe zu überlegen, wie die Situation verbessert werden kann. In der Anerkennungskommission geschieht das im Einzelfall. Auf anderer Ebene müssen wir uns mit den Betroffenenverbänden zusammentun“, sagte Präses Hillmann. „Ich danke allen, den Verbänden und den einzelnen Menschen, die sich dazu bereitfinden, und vertraue für die gemeinsame Arbeit auf die Liebe Gottes.“

Die Nordkirche hat - ausgelöst durch den Missbrauchsskandal im Fallkomplex Ahrensburg im Jahr 2010 - eine steile Lernkurve gemacht und machen müssen, erklärte Rainer Kluck, Leiter der Stabsstelle Prävention - Fachstelle der Nordkirche gegen sexualisierte Gewalt, in seinem Bericht an die Synode. „Insgesamt sind heute in der Nordkirche 30 Personen für Prävention und Meldung im Einsatz. Das sind die mit zehn Personen besetzte Stabsstelle Prävention, die für den fachlichen Rahmen sorgt, dazu je Präventions- und Meldebeauftragte in den Kirchenkreisen und Hauptbereichen und Diakonie, flankiert von für das Thema verantwortliche Pröpste und Leitende.“, so Kluck.

Die ForuM-Studie habe gezeigt, so der im Sommer in den Ruhestand wechselnde Leiter der Stabsstelle, dass die Risiken oft da auszumachen sind, wo Kirche ihre Stärken habe. Genau deshalb man jetzt gefordert, damit umzugehen. „Wir sind Spezialistinnen und Spezialisten für Beziehungsgestaltung – aber wir brauchen Rollenklarheit und nicht Diffusität. Wir sind nahbar, was Vertrauen voraussetzt und begründet – aber wir dürfen Nähe nicht mit Distanzlosigkeit verwechseln.“, betonte Rainer Kluck.

Neben den Schutzkonzepten sieht der Leiter der Stabsstelle in der Fortbildung ein wichtiges Instrument der Präventionsstrategie der Nordkirche. „Im Zusammenhang mit der „Selbstverpflichtungserklärung für Pastorinnen und Pastoren in der Nordkirche“ wurden dazu Fortbildungen analog und digital durchgeführt. Mehr als Dreiviertel der Pastorinnen und Pastoren in der Nordkirche und darüber hinaus andere kirchliche Fach- und Leitungskräfte haben an den Basisfortbildungen Sexualisierte Gewalt teilgenommen“, erklärte Kluck. Auch im Vikariat sei inzwischen das Modul Prävention fest etabliert.

Tagung begann mit Gottesdienst und Predigt von Bischöfin Steen

Begonnen hatte die Synodentagung mit einem Gottesdienst in der St.-Lorenz-Kirche Travemünde. In Ihrer Predigt bezog sich Nora Steen, Bischöfin im Sprengel Schleswig und Holstein, auf den ersten Brief des Johannes (1 Joh 4,7-14) und sagte: „In der Liebe bleiben. Anders gesagt: Den Schatz hüten, der uns geschenkt ist. Diese durch nichts zu zerstörende Liebe Gottes, die sogar durch den Tod hindurchgegangen ist. Für uns. In dieser Liebe bleiben. Sie uns nicht nehmen lassen. In allem, was grad ist. Und das ist viel. Vielleicht ist genau das unser Auftrag als Gemeinde Jesu Christi in dieser Zeit. In dieser Zeit, in der zumindest mir häufiger denn je die Worte fehlen. In der so viel unsicher ist. Diese Liebe eignet sich womöglich nicht für große Schlagzeilen. Aber sie transformiert die Gemeinschaft derer, die diese Liebe Gottes für sich als tragfähig ansehen. Sie bedeutet nämlich ganz konkret: Nehmen wir Gottes Liebeszusage ernst, dann hat das konkrete Auswirkungen auf unser Miteinander. Dann begegnen wir uns notwendigerweise mit Achtung, mit Respekt und Vertrauen. Dann wird unserer Gemeinschaft anzumerken sein, was uns zusammenhält. Dann strahlen wir nach außen, weil die Art unseres Miteinanders zeigt, dass uns nicht Freundschaft, nicht Fachkompetenz oder was sonst noch denkbar ist zusammenhält, sondern allein die Liebe Gottes. Die Liebe Gottes, die uns gilt und in der wir bleiben dürfen. Komme, was wolle.“

Haushalt und Kirchengesetz über die Widmung und Entwidmung von Kirchen

Die 20. Tagung der Landessynode dauert noch bis Freitag (23. Februar 2024). Ein weiteres Thema sind die Haushaltsberatungen. Die Nordkirche rechnet für das Jahr 2024 mit Gesamteinnahmen in Höhe von fast 610 Mio. Euro und für 2025 rund 618 Millionen Euro. Die Verteilung der Mittel nach Vorwegabzügen bleibt unverändert bei 18,71 Prozent für die Landeskirche und 81,29 Prozent für die Kirchenkreise. Zudem steht das „Kirchengesetz über die Widmung und Entwidmung von Kirchen“ zur Abstimmung.

Die Synode der Nordkirche tagt traditionell im Maritim Travemünde.

Die Synode der Nordkirche tagt traditionell im Maritim Travemünde.


Text-Nummer: 164335   Autor: Nordkirche   vom 22.02.2024 um 18.17 Uhr

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