Gegensätze beim NDR-Konzert

Lübeck: Archiv - 11.05.2024, 16.40 Uhr: Das 7. Konzert des NDR-Elbphilharmonie-Orchesters sollte im Zeichen des Himmelfahrt-Tages stehen mit ernsten Werken von Adams, Bach und Strauss. Der für den erkrankten Dirigenten Mikko Franck eingesprungene Stanislav Kochanowsky vermochte wohl nicht alle Kompositionen in kurzer Zeit zu erarbeiten, so dass statt Strauss' „Tod und Verklärung“ nun seine „Rosenkavalier“-Suite erklang.

Der renommierte Bassbariton Matthias Goerne engagierte sich für die dramatischen Kantaten „The Wound-Dresser“ (1989) des US-Komponisten John Adams und „Ich habe genug“ (1727) von Johann Sebastian Bach. Welch ein Unterschied, das Leiden in Töne zu fassen, trotz jeweils kleiner Instrumentalbesetzung: Adams vertonte ein episches Poem von Walt Whitman über den amerikanischen Bürgerkrieg, Bach einen Text aus dem Lukas-Evangelium. Beide handeln vom Leiden und dessen Überwindung.

John Adams' minutiöser Stil passt zu der ausholenden Erzählung eines Sanitäters im 19. Jahrhunderts, der die Leiden und das Wundenverbinden schildert. Goerne machte Beschreiben und Helfen anschaubar in ausholender Gestik und hörbar mit dem Adams-eigenen Parlando. In das klagende (und manchmal gar liebliche) Strömen der Streicher mischen sich immer mehr Verzweiflungstöne der Blechbläser, bis die minimalistisch-romantische Elegie wieder nach dem Sänger greift: Goerne deklamierte das emotional, Kochanowsky dirigierte es mit ruhiger Sorgfalt. Bachs Kantate, noch kleiner besetzt, passte zum Thema, aber nicht in einen großen Konzertsaal. Obwohl die Atmosphäre des Schweizer Birnbaums in der MuK dem positiv Schicksal-Ergebenen des Werks zugutekommt, benötigt selbst ein bestens gestützter Bariton viel Kraft, sich hier durchzusetzen. So wirkte, bei aller vorbildlicher Deklamation, die schlichte Wahrhaftigkeit zu aufgesetzt. „Echt“ kam allerdings der 5. Satz, lebhaft und akzentuiert auch vom kleinen Orchester, das Kochanovsky unaufwendig leitete und den beiden feinen Oboistinnen einen Vorzugsplatz gab.

Nach der Pause also die pralle „Rosenkavalier“-Nostalgie – mit einem Schrecken: Kochanovsky stürzte das nun vollbesetzte Orchester in einen Fortissimo-Auftakt, dass das Blech sich überschlug und es überall wackelte. (Über die Hälfte des Orchesters hatte ja jetzt erst seinen Auftritt.) Doch dann fing der Dirigent alle wieder ein, achtete auf Tonschönheit und ließ erkennen: Hier wird nicht eine Oper nachgezeichnet, sondern eine eigenständige Suite entwickelt. Wobei Akzente hin und wieder noch etwas zu stark gesetzt, aber vor allem etwas erzählt wurde. Besonders die beiden mittleren Sätze waren so innig ausmusiziert, wie sie so schön der Rezensent noch nicht erlebt hat. Das war eine vom recht wenigen Publikum begeistert applaudierte Visitenkarte von Stanislav Kochanovsky, der ab der kommenden Saison die NDR-Radiophilharmonie Hannover leiten wird.

Stanislav Kochanowsky setzte mit dem Konzert eigene Akzente, die beim Publikum gut ankamen.

Stanislav Kochanowsky setzte mit dem Konzert eigene Akzente, die beim Publikum gut ankamen.


Text-Nummer: 165804   Autor: Güz.   vom 11.05.2024 um 16.40 Uhr

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